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Archiv-Artikel

Schäden auf beiden Seiten der Wanze

ABHÖRPHANTASMEN Vom alten Syracus bis zur NSA: eine Geschichte der akustischen Überwachung

„Tragisch der Überwacher, der gerade eine Nachricht abgehört zu haben glaubt, die den Beginn des Atomkrieges ankündigt“

VON ANDI SCHOON

Siziliens findigste Touristenführer könnten ihre Ausführungen zum Ohr des Dionysos dieser Tage folgendermaßen beginnen: „NSA-Mitarbeiter, aufgepasst! Hier sehen Sie die Mutter aller Abhörsysteme.“ Tatsächlich soll der Tyrann von Syracus im 4. Jahrhundert v. Chr. in der mächtigen Steinhöhle attische Kriegsgefangene eingekerkert haben. Das Gebilde erinnert in seiner Form an ein Hörorgan und verfügt über eine imposante Akustik. Schon im 17. Jahrhundert kamen viele Reisende hierher. Unter ihnen war der Maler Caravaggio, der beeindruckt weiterfantasierte: Dionysos müsse wohl einen akustischen Gang von der Höhlendecke in ein nahe gelegenes Theater eingerichtet haben. Dort saß er dann, um zu hören, was die Gefangenen untereinander sprachen – ein Mythos, der den Besuchern noch heute aufgebunden wird. Mutmaßlich verrät er weniger über Machtausübung in der Antike als über Caravaggios Zeit. Zumindest spricht des Malers barocker Hang zum Kuriosen auch aus Athanasius Kirchers verspielten Abhörphantasmen.

Der Universalgelehrte versammelte 1662 in seinem Buch „Musurgia Universalis“ allerhand komplexe Architekturen zur akustischen Überwachung von Herrscherresidenzen. Der Schall wird jeweils von einem großen Trichter eingefangen und durch einen schneckenhausartigen Gang geleitet. Die Öffnung im Abhörraum bildet zumeist eine Büste, mithin eine schlichte Symbolisierung des geheimen Informanten. Warum diese Häufung von erdachten Abhörsituationen im 17. Jahrhundert? Der Grund liegt wohl weniger in der Zahl der Verschwörungen zur damaligen Zeit als vielmehr in der technischen Verspieltheit der Geheimkommunikation. Kirchers Abhörentwürfe sollen etwa im Auftrag italienischer Adliger entstanden sein – als Sicherung, aber auch als sensationelles Extra der eigenen Behausung. Man mag die Unterwanderung befürchtet haben, vor allem aber hatte die Erfindungslust Konjunktur.

Auch in der Malerei finden sich Abhörmotive zuhauf. Nicolaes Maes, ein Schüler Rembrandts und Zeitgenosse Athanasius Kirchers, hat immer wieder das Motiv der Lauscherin gemalt: eine Magd, die ihre Herren abhört. Sie steht im Vordergrund des Bildes auf dem Korridor, die Augen auf den Betrachter gerichtet, den ausgestreckten Zeigefinger auf ihren Mund gelegt, während die Herrschaften in einem entlegenen Hinterzimmer durch den geöffneten Türspalt zu beobachten sind. Die Dienerin nimmt Kontakt mit uns auf, mahnt uns zu schweigen. Wir sehen, was sie hört, aber nicht sieht, und sie hört offenbar, was wir sehen, aber nicht hören können. Die Szene entbehrt nicht einer gewissen Komik, zudem sind Magd und Betrachter durch die Kontaktaufnahme partners in crime. Es entsteht die solidarische Hoffnung darauf, dass hier eine Information zugänglich werde, die bisher zu Unrecht unter Verschluss stand.

Eine Vorrichtung, um gesprochene Sprache abzufangen, hatte zeitweise schon das berühmte, Panopticon genannte Gefängnismodell von Jeremy Bentham (1791). Die Grundanordnung: In der Mitte steht ein Turm, ringsherum sind die Zellen derart angeordnet, dass der Turmwächter sie allesamt einsehen kann. Die einzelnen Zellen sollten nun über schmale, strahlenförmig angeordnete Gänge abhörbar sein. Was Bentham schließlich dazu brachte, die Anlage doch nur rein optisch auszulegen, war die Einsicht, dass sich die akustischen Rohre in beide Richtungen hätten benutzen lassen: Der Gefangene hätte also auch hören können, was im zentralen Wachturm gesprochen wird.

Metternichs Spitzel

Im Kern ist Benthams Modell der Aufklärung verpflichtet, denn es setzt auf eine mögliche Resozialisierung des Gefangenen. Dieser wird überwacht, um seine Besserung sicherzustellen.

Die reaktionäre Antwort darauf kam ab 1819 aus Wien. Klemens Fürst Metternichs Überwachungsstaat hatte den Deutschen Bund bis 1848 fest im Griff. Weil ihm die bürgerliche Freiheit zutiefst unheimlich war, errichtete der österreichische Außenminister und Staatskanzler mit den Karlsbader Beschlüssen ein System aus Zensur und Bespitzelung. Neben der Frankfurter Bundeszentralbehörde, in der sich die Mitschriften stapelten, unterhielt Metternich ein Informationsbüro in Mainz, von dem aus die Spitzel ausschwärmten, unter ihnen auch namhafte Personen des Geisteslebens, die Zugang zu Räumen hatten, in denen sich interessante Gespräche mithören ließen (etwa die des Zirkels um Karl Marx). Dass Metternichs System in den Revolutionsunruhen von 1848 binnen wenigen Monaten zusammenbrach, war dem Geist der Zeit geschuldet: Auf Grundlage von Misstrauen gegen das eigene Volk ließ sich in der Folge der Aufklärung offenbar kein moderner Staat mehr auf Dauer regieren. Schließlich generiert das kaltgestellte Individuum keinen Mehrwert.

Doch weit gefehlt: Etwa ein Jahrhundert später erfand Theremin im Auftrag des KGB die Abhörwanze, das akustische Kontrollgerät schlechthin. Mit dieser Erfindung wurde es machbar, die Kommunikation vermeintlich subversiver Elemente auszuhorchen. Die Vorrichtung hat inzwischen nicht nur eine Karriere als reales Mittel der Spionage, sondern auch als Element zahlreicher Kino- und TV-Produktionen hinter sich. In den meisten dieser Agententhriller und Cold-War-Dramen wimmelt es von gebrochenen Charakteren auf beiden Seiten der Wanze – die Abhörenden sind hier ebenso zu bemitleiden wie die Abgehörten.

So legte Francis Ford Coppola 1974 mit „The Conversation“ einen Film vor, der das paranoide Lebensgefühl der Amerikaner nach dem Watergate-Skandal präzise einfing: Gene Hackman wird als verschrobener Abhörspezialist Harry Caul selbst abgehört. In der Schlusssequenz versucht er, eine vermeintlich in seiner Privatwohnung installierte Wanze ausfindig zu machen. Die Szene endet mit der völligen Zerstörung seines Heims. Als der Abspann einsetzt, kann sich der Zuschauer nicht mehr sicher sein, ob Caul wirklich überwacht worden ist oder sich lediglich der Verfolgungswahn des Protagonisten verselbstständigt hat.

Der Film „Das Leben der Anderen“ nahm das Motiv des traurigen Überwachenden unter den Bedingungen des Stasi-Milieus 2006 wieder auf. Während sich „The Conversation“ um Privat- und Wirtschaftsspionage dreht, erleben wir hier staatliche Kontrolle im Stile Metternichs bzw. Orwells: Ein Stasi-Hauptmann fungiert als personifiziertes Mikrofon, als kleines Rädchen in einem unüberschaubaren Überwachungssystem. Mit der Zeit entwickelt er sich durch die indirekte Erfahrung der abgehörten Lebenswelt jedoch zum Gegner des unmenschlichen Systems.

„Unterwanderung mag man befürchtet haben. Vor allem hatte aber die Erfindungslust Hochkonjunktur“

Inzwischen ist das Anzapfen von Telefonen nicht nur in den Reden von Sicherheitspolitikern durchaus positiv belegt. Als innovative Technik der Guten erscheint es auch in der hochgelobten US-Serie „The Wire“: Eine tapfere Spezialeinheit kämpft mit subtilen Mitteln gegen die Drogenbosse von Baltimore, anstatt immer nur die kleinen Fische hochzunehmen. Die Methode wird uns (gern in Parallelmontagen) als weitaus effektiver als die Razzia vor Ort vorgeführt. Während tumbe Polizisten erfolglos die Wohnungen vermeintlicher Dealer stürmen, sitzen unsere Helden mit Laptops im Büro und lächeln still, wenn sich der Hintermann am Handy verrät. Das hochtechnisierte Lauschen auf die Gespräche anderer wirkt in dieser Serie kreativ und intelligent, diskret und elegant.

China im Fokus

Nun aber doch große Entrüstung über die nichtfiktionale Überwachung seitens der USA. Dabei hat auch diese eine lange Geschichte: Echelon, das von der NSA betriebene weltweite Abhörsystem, hat seine Wurzeln im Zweiten Weltkrieg. Nach Kriegsende stand – mit Unterstützung der Länder des Commonwealth – die Überwachung des sowjetischen und chinesischen Hochfrequenzfunks im Fokus. Der Journalist Duncan Campbell berichtet, dass sich auch hier der Überwachende mitunter als tragische und paranoide Figur zeigte, „die sich zum Beispiel in einem Schrank versteckt, in dem Glauben, gerade eine Nachricht abgehört zu haben, die den Beginn des globalen thermonuklearen Krieges ankündigte“.

Die Echelon-Historie führt von der Entstehung als Kriegstechnik über ein Mittel zur Linderung von Kommunismus-Paranoia weiter bis zum Einsatz aus Wirtschaftsinteressen. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wird als Argument (wieder) die innere Sicherheit ins Feld geführt. Doch der Fall Edward Snowden zeigt: Inmitten automatisierter Algorithmen und permanent aktualisierter Schlüsselwortlisten finden sich noch immer Figuren, denen ihre Arbeit den Schlaf raubt.

Der Autor ist Professor für Geschichte und Theorie der Transdisziplinarität an der Hochschule der Künste in Bern