piwik no script img

Archiv-Artikel

Hofgang mit Saddam Hussein

Der kurdische Islamist Ali Bapir saß 22 Monate mit den höchsten Vertretern des früheren Saddam-Regimes in Bagdad in einem US-Gefängnis. Er berichtet über seine Begegnung mit den ehemaligen Schergen. Reue zeigen die wenigsten von ihnen

AUS ERBIL INGA ROGG

Wenn sich Ali Bapir die Fernsehübertragungen vom Saddam-Prozess anschaut, sieht er viele alte Bekannte. Noch heute schüttelt er fassungslos den Kopf, wenn er an jenen Tag Ende Juli 2003 denkt. Damals brachten ihn die Amerikaner in das Gefängnis am Bagdader Flughafen. Dort stand er plötzlich den Männern gegenüber, die er jahrelang bekämpft hatte: Tarik Asis, Iraks langjährigem Außenminister, Saddams ergebenem Halbbruder Barsan Ibrahim Hassan, dem Saddam-Vize Taha Jassin Ramadan und dem Schlächter der Kurden, Ali Hassan Madschid. Zelle an Zelle verbrachte Bapir seine Zeit im Camp Cropper mit den obersten Henkern des Regimes.

Wie seine früheren Gegner litt der Chef der „Islamischen Gruppe Kurdistan“ unter der Sommerhitze in der kaum neun Quadratmeter großen Einzelzelle. Monatelang hätten sie nur lauwarmes Wasser und lausige Fertigmahlzeiten bekommen, sagt Bapir. Zu lesen gab es ein Jahr lang nichts außer dem Koran, von Radio oder Fernseher ganz zu schweigen. In einem Punkt aber hätten es die Schergen des Regimes besser gehabt als er: „Sie durften mit ihren Familien telefonieren, bekamen Post und sogar Besuch.“ Er habe dagegen sieben Monate warten müssen, bis ihm Wächter erstmals Briefe brachten.

„Ich habe sie mein Leben lang bekämpft, und plötzlich mache ich mit ihnen Hofgang“, sagt Bapir. Zehn Meter vor, zehn Meter zurück. Täglich zweimal eine halbe Stunde. Mehr als ein kurzes „Guten Tag“ hätten sie in den ersten Monaten nicht wechseln dürfen. Ende 2003 lockerten die Amerikaner die Vorschrift. „Nun konnten wir uns auch etwas unterhalten.“ Lang waren die Gespräche aber nicht, und was ihm seine Mitgefangenen zu sagen hatten, war wenig erbaulich.

„Die meisten taten so, als hätten sie nicht gewusst, was das Regime getan hat“, sagt Bapir. „Barsan behauptete, er habe schon lange mit Saddam gebrochen.“ In Camp Cropper habe er davon aber nichts gemerkt. Als sich unter den Gefangenen herumsprach, dass das Sondertribunal Klageerhebung wegen des Massakers an Schiiten in Dudschail plant, habe Barsan zu den Ersten gehört, die das Verbrechen verteidigten. „Wir mussten die Verräter bestrafen“, habe er gesagt. Wenig Reue zeigten offenbar auch Taha Jassin Ramadan und der Exchef des berüchtigten Revolutionsgerichtshofs, Awad al-Bandar. Die drei gehören neben Saddam zu den Hauptangeklagten im ersten Prozess gegen das frühere Regime. Seit Oktober müssen sie sich wegen der Hinrichtung und Deportation von Schiiten sowie der Zerstörung ihrer Ländereien im Dorf Dudschail bei Bagdad vor dem Sondertribunal verantworten.

Die Ergebenheit von Barsan gegenüber Saddam wundert Bapir wenig. Gut erinnert er noch den Tag, als der Despot nach Camp Cropper verlegt wurde. Vier Monate nach seiner Festnahme sei plötzlich ein Raunen durch das Lager gegangen. Über einen Zaun konnten die Gefangenen sehen, wie Saddam mit einem Sack über dem Kopf hereingeführt wurde. Einige, die Saddam am Gang erkannten, hätten regelrecht stramm gestanden, sagt Bapir. Eine Zeit lang konnten sie ihn beobachten, wenn er zum Hofgang oder zur Toilette gebracht wurde. Schließlich unterbanden die Amerikaner sogar den Sichtkontakt durch den Bau einer Mauer.

Bapir ist kein Freund der Amerikaner. Aber Widerstand leisten aufseiten der Baathisten? „Nie“, sagt er gedehnt und zupft an seinem Turban. Als Bapir am 10. Juli 2003 festgenommen wurde, wollte er zu einem Treffen mit den Amerikanern, um über Kompensationen zu verhandeln. Bei der Bombardierung des Lagers der mit al-Qaida verbündeten Ansar al-Islam waren auch 50 Kämpfer seiner Gruppe umgekommen, die ihre Basis in der Nähe hatten. Zudem wollte er die Beteiligung seiner Gruppierung am politischen Prozess im Irak erreichen. Neun Tage sei er gefoltert worden, sagt Bapir. Stundenlang habe er mit erhobenen Händen stehen oder auf Knien am Boden hocken müssen. Zudem sei er mit Stöcken und Eisenstangen geschlagen worden.

Die Qualen hatten ein Ende, als er in Camp Cropper ankam. Nachdem die Amerikaner die Restriktionen lockerten, betätigte sich Bapir dort in seiner eigentlichen Mission, der Verbreitung des Islam. Krank und schwach hätten zahlreiche Gefangene seinen geistlichen Beistand gern angenommen, sagt er.

Dass sich mit Ali Hassan Madschid ausgerechnet einer der ruchlosesten Verbrecher des Regimes in Camp Cropper zum frommen Gottesmann wandelte, erstaunte auch Bapir. Auch Saddam zeigt sich vor Gericht mit einem Koran in der Hand gern als frommer Muslim. Am Urteil des Kurden ändert das indes nichts. Gott werde Saddam und seine Schergen richten, sagt Bapir. „Sie haben die Todesstrafe verdient.“