: Über Fernost gebrochener Soul
SPURENSUCHE Am 17. April 1975 war der Tag, an dem mit dem Sieg der Roten Khmer in Kambodscha die Musik starb. Beim Wassermusik-Festival ist wenigstens ein Hauch von der untergegangenen Pracht des Khmer-Pop zu hören
Nach Südsee, Karibik und Wüste widmet sich das Wassermusik-Festival in diesem Jahr thematisch dem pazifischen Raum. Neben diversen Gesprächsrunden und Workshops um den „Unsichtbaren Kontinent“ gibt es in den kommenden drei Wochen Filmvorführungen und natürlich Konzerte. Zur Eröffnung spielen am Donnerstag Dengue Fever (19 Uhr), der transpazifische Fiebertraum, sowie Julieta Venegas, ein Multitalent aus Baja California (20.30 Uhr).
■ Wassermusik-Festival: HKW, John-Foster-Dulles-Allee, 18. 7.–10. 8., Programm: www.hkw.de
■ Siehe auch: SEITE 11
VON THOMAS MAUCH
Man kann eigentlich nicht sagen, dass man es bei Sinn Sisamouth mit einem der am meisten unterschätzten Songschreiber überhaupt zu tun hat.
Man muss wohl schreiben, dass man den Mann schlicht gar nicht kennt. Zumindest nicht hier, in unseren Gegenden.
Phnom Penh, in den sechziger und auch noch Anfang der siebziger Jahre. Es ist mächtig was los in der kambodschanischen Hauptstadt, selbst als längst die Bomben fallen auf das Hinterland. Der Vietnamkrieg findet zu großen Teilen halt nicht nur in Vietnam statt. Das Kino blüht. In dieser Zeit werden in Kambodscha zum Teil mehr Filme produziert als in Hongkong. Es gibt einen Bauboom in der Stadt. Eine goldene Ära der modernen Architektur. Und dann ist da noch die Musik.
Immer und überall vorne mit dabei der im vergangenen Jahr verstorbene Norodom Sihanouk, immer mal wieder König, Prinz oder sonst wie das Staatsoberhaupt in der wechselhaften Geschichte Kambodschas. Er agierte als Schauspieler, er drehte Filme. Und er komponierte Musik, die man sich als Schnittmenge von europäischen Gesellschaftstänzen mit einer Chinavase vorstellen darf. Ganz reizendes Easy Listening, das es damals auch in die DDR geschafft hat. Was für die Sammler: auf dem Staatslabel Amiga wurden mehrere Platten mit Musik von Sihanouk veröffentlicht.
Der eigentlich König der Khmer-Musik aber war Sinn Sisamouth. Er war der Elvis von Kambodscha und der Frank Sinatra, er war die Beatles, die Rolling Stones. Er konnte mit Latin-Musik und er tanzte den Twist. Hunderte von Songs hat er geschrieben. In den anpeitschenderen Titeln ist das eine faszinierende Mischung aus scheppernder Khmer-Musik, über Fernost gebrochener Soul und ein Gamelan-Rock-’n’-Roll, der das Herz eines jeden Garagenbeat-Fans zum Wummern bringen muss.
So ganz allein aber stemmte auch Sinn Sisamouth die kambodschanische Popmusik nicht. Merken könnte man sich zum Beispiel den Namen der Sängerin Pan Ron. Oder Ros Sereysothea. Man darf schon sagen, dass Diana Ross die Ros Sereysothea der Vereinigten Staaten ist.
Im Kino gewesen. Geweint. Wenigstens zweimal in den letzten Jahren, immer wenn da „Chnam Oun Dop Pram Muy“ zu hören war, „Ich bin 16“, dieser frenetische Garagenrocker von Ros Sereysothea, der beim Soundtrack von Detlev Bucks „Same Same but Different“ eine prominente Rolle spielt und davor bereits bei Matt Dillons Kambodscha-Verneigung „City of Ghosts“ aus dem Jahr 2002.
Mit dem Soundtrack von „City of Ghosts“ hat man schon eine hübsche Übersicht über diesen Khmer-Rock-’n’-Roll zur Hand. Oder man greift sich auf den Märkten von Phnom Penh aufs Geratewohl ein paar CDs aus dem Angebot, auch wenn man die Khmer-Kringelschrift nicht lesen kann. Zu Hunderten gibt es da Zusammenstellungen mit den alten Liedern von Sinn Sisamouth, Ros Sereysothea und Pan Ron. Und man sollte sich nicht wundern, wenn die manchmal so übersteuert und leiernd klingen, als hätte man sie von alten Kassetten abgekratzt, die ein paar Sommer zu lang an der Sonne gelegen hätten.
Weil es wahrscheinlich genau so gemacht wurde. Die Masterbänder aber scheinen verschollen. Zerstört. Weil es da eine kulturelle Lücke in Kambodschas Geschichte gibt. Das Schreckensregime der Roten Khmer. Als sie nach ihrem Einmarsch am 17. April 1975 in Phnom Penh alle Bewohner der Stadt aufs Land vertrieben, war darunter auch Sinn Sisamouth. Seitdem verliert sich seine Spur. Nichts weiß man auch vom Tod von Pan Ron und Ros Sereysothea. Die Roten Khmer machten keine Kulturrevolution. Sie schafften die Kultur einfach ab. Ein Viertel der Bevölkerung starb während ihrer vierjährigen Herrschaft über Kambodscha. Erschlagen, verhungert, vergessen.
Transpazifischer Update
Tätige Erinnerungshilfe gibt es von der kalifornischen Band Dengue Fever. Die hat nicht nur mit „Electric Cambodia“ einen Sampler mit etlichen Krachern des Khmer-Rock-’n’-Roll und Soul präsentiert, sondern war auch bei „City of Ghosts“ mit einer zauberhaften Version des Joni-Mitchell-Hits „Both Sides Now“ zu hören, auf Khmer gesungen – und sorgt überhaupt dafür, dass diese Lieder nicht vergessen werden, mit den Songs von Sisamouth und den anderen in ihrem Repertoire, in einem transpazifischen Update der kambodschanischen Popmusik der Sechziger Jahre mit einem psychedelisch flirrenden Indierock, der sich auch in einer Lounge zurechtfindet.
Inzwischen wird bei der Band auch auf Englisch gesungen. Am eindrücklichsten aber klingen Dengue Fever weiterhin, wenn Chhnom Nimol, die aus Kambodscha stammende Sängerin der Band, in ihrer Muttersprache singt. Am Donnerstagabend ist es zu hören, beim Eröffnungskonzert mit Dengue Fever bei der Wassermusik im Haus der Kulturen der Welt.