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Archiv-Artikel

„Ich bin der Nestbeschmutzer“

FLICK-ERBE Der Journalist Chris Humbs hat in der Oberpfalz eine Ausstellung über NS-Zwangsarbeit organisiert. Damit löste er heftigen Streit aus – auch in seiner Familie

Chris Humbs

■ 40, arbeitet als Fernsehjournalist für das ARD-Politmagazin „Kontraste“. Er ist in Maxhütte-Haidhof geboren und machte in den Achtzigerjahren eine Ausbildung zum Elektriker in der inzwischen stillgelegten „Maxhütte“, die zum Flick-Konzern gehörte. Schon 2008 drehte Humbs einen TV-Beitrag über ein Gymnasium in NRW, das nach Flick benannt war.

INTERVIEW KATHLEEN FIETZ

taz: Herr Humbs, warum ist Ihre Ausstellung zu Zwangsarbeit im ländlichen Raum ausgerechnet im oberpfälzischen Städtchen Maxhütte-Haidhof zu sehen?

Chris Humbs: Ich bin da aufgewachsen und habe vor gut einem Jahr festgestellt, dass es dort und in zwei weiteren Orten in der Region immer noch Straßen gibt, die nach dem NS-Kriegsverbrecher Friedrich Flick benannt sind. Ihm gehörte in der Region das Eisenwerk „Maxhütte“, wo im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter beschäftigt waren.

Sie haben die Bürgermeister der Orte angeschrieben, sie gebeten, diese Straßen umzubenennen. Wie waren die Reaktionen?

Meistens Schweigen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schon gar nicht von meiner Großcousine, die die Bürgermeisterin in Maxhütte-Haidhof ist. Sie wollte mit mir darüber nicht reden. Dafür wurde in einer Stadtratssitzung parteiübergreifend und einstimmig beschlossen, dass der Straßenname bleibt. Die Stadträte vertreten den Standpunkt: „Der alte Flick hat einst bei uns Arbeitsplätze geschaffen.“ Dass er Zwangsarbeiter beschäftigt hat, wird mit den schlichten Worten abgetan: „Auch wir waren Opfer der Nazis.“

Wann kam der Punkt, an dem Sie beschlossen, eine Ausstellung zu organisieren?

Ich habe mich ein Stück weit für diese Ignoranz geschämt. Mein erster Impuls war: Jetzt mache ich einen deftigen Fernsehbeitrag. Dann wollte ich aber doch nicht mit dem Holzhammer die ganze Region diskreditieren, sondern versuchen, die Leute über Aufklärung zu erreichen. Zumal es dort so gut wie keine Aufarbeitung der NS-Geschichte gab: Wir hatten im Ort und im Werk Maxhütte weit über 1.000 Zwangsarbeiter – bei 1.900 Einwohnern. Wenn ich heute durch den Ort laufe und frage: „Wo haben denn die Zwangsarbeiter gehaust?“ – dann ist da Achselzucken.

Ist diese Verdrängung ein grundsätzliches Phänomen in ländlichen Regionen?

Ja. In Großstädten tut man sich leichter, dort sind die Menschen aufgeklärter. Auf dem Land wird die Sache schnell persönlich, da gibt es noch Familienclans. Wenn man dann dem 90-jährigen Opa ans Zeug geht, weil er drei polnische Landarbeiter auf dem Hof hatte, greift das die Familienehre an. Dazu kommt: Wer sind die Väter der heute 65- oder 66-Jährigen, die im ländlichen Bereich nun viel zu sagen haben? Die Vätergeneration war an der Front und hatte nur ein paar Tage Heimaturlaub. Ob gerade da das Kind gezeugt wurde oder ob es nicht eventuell der Zwangsarbeiter war, der auf’m Hof oder in der Fabrik gearbeitet hat – das sind Fragen, die man lieber nicht hochkommen lassen will.

Hat sich der Streit bis in Ihre eigene Familie hineingetragen?

Ja, natürlich. Es gab heftige Diskussionen mit meinen Eltern am Küchentisch. Was mir einfalle, sie müssten dort leben und mit den Nachbarn klarkommen. Es war für meine Familie erst mal eine Art Naturkatastrophe, die über sie hereinbrach. Jetzt, wo die Ausstellung läuft, sind sie etwas beruhigter. Die Garage hat nicht gebrannt, und es lagen keine toten Katzen vor der Haustür.

Sie haben für Ihr Projekt Historiker und Kuratoren aus Berlin gewinnen können. Wie sah es mit Unterstützern vor Ort aus?

Weder Pfarrer, Gewerkschaftsfunktionäre noch Bauernverbände wollten uns unterstützen. Dass ich aus der Gegend komme, hat mir auch nichts genützt, ich bin inzwischen der Berliner, der Nestbeschmutzer und Besserwisser. Es kam dann trotz aller Widerstände vor Ort eine kleine Clique zusammen, zum Beispiel ein Nachfahre von zwei polnischen Zwangsarbeitern, zwei SPD-Stadträte aus Nachbarstädten, die Leiterin des Volkskundemuseums, eine Abiturklasse. Und auch die Gewerkschaften vor Ort konnten sich letztlich überwinden.

Wie sind Sie an die Quellen vor Ort gekommen?

Es hieß immer: In den örtlichen Archiven ist nichts zu finden. Alles wurde vernichtet. Wir haben dann aber doch auf Dachstühlen Kisten voll losem Zettelwerk gefunden. In den Staatsarchiven hatten die Archivare fast schon Tränen in den Augen, weil sich endlich mal jemand für Akten der lokalen NS-Geschichte interessiert.

Die Ausstellung

 Was? Die Ausstellung „Städtedreieck unterm Hakenkreuz – NS-Zwangsarbeit im ländlichen Raum“ läuft bis zum 28. März 2010 in Maxhütte-Haidhof. Mehr unter projektgruppe-zwangsarbeit.de.

 Warum? Der Journalist Chis Humbs organisierte die Ausstellung, um über Zwangsarbeit in der Region aufzuklären: In seinen Rüstungsfabriken beschäftigte der Industrielle Friedrich Flick im Zweiten Weltkrieg zehntausende Zwangsarbeiter, auch im oberpfälzischen Eisenwerk „Maxhütte“. Obwohl Flick als NS-Kriegsverbrecher verurteilt wurde, blieb er nach seiner Haftentlassung wichtigster Arbeitgeber im Städtedreieck Maxhütte-Haidhof/Teublitz/Burglengenfeld und wird darum in der Region bis heute mit Straßennamen geehrt.

Waren denn die Einheimischen bereit, mit Ihnen über diese Zeit zu sprechen?

Meistens wurden die Telefone aufgelegt. Wir haben sehr viel Ablehnung bis hin zu Aggressionen erfahren: Was uns einfalle, da rumzuwühlen, das ginge uns nichts an. Ein paar Leute haben dann doch mit uns geredet, zum Teil wirklich mit Angst, dafür vor Ort angefeindet zu werden.

Ihre Großcousine hat dann letztlich die Eröffnungsrede bei der Ausstellung gehalten. Eine Versöhnung?

Diese Rede machte deutlich, wie man vor Ort trotz allem immer noch denkt und fühlt. Sie ist nicht auf die Ausstellung eingegangen. Stattdessen hat sie auf die vielen Kriegsopfer auf deutscher Seite verwiesen und hat die anwesenden Medienvertreter gebeten, die Kameras auszuschalten und die Berichterstattung ab sofort einzustellen. Nicht nur die ausländische Presse war entsetzt.

Sie haben viel Zeit und Geld in das Projekt gesteckt, haben in Ihrer Familie Streit ausgelöst. Was konnten Sie erreichen?

Zur Eröffnung kamen 300 Leute, was für die Region sensationell ist. Aber Erfolg ist relativ, viele Stadträte, die gegen die Ausstellung waren, sind jetzt noch näher zusammengerückt. Wir hoffen aber, dass wir vor allem junge Leute erreichen und diese wiederum auf die Stadträte einwirken. Es gibt Anfragen, ob diese Ausstellung auch in andere ländliche Regionen wandern könnte. So würde das Thema auch außerhalb der Metropolen wahrgenommen werden. Schließlich arbeiteten fast die Hälfte aller Zwangsarbeiter auf dem Land.