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Archiv-Artikel

Noch ein Kritiker hinter Gitter

PROZESS Putins Widersacher Alexei Nawalny wird zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. Der Blogger wollte in Moskau als Bürgermeister kandidieren. Das darf er jetzt nicht mehr

„O. k., langweilt euch nicht ohne mich. Wichtiger noch, lasst euch nicht gehen“

ALEXEI NAWALNY TWITTERT SCHNELL

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Ein Gericht in der nordrussischen Stadt Kirow hat den russischen Oppositionellen und Antikorruptionsblogger Alexei Nawalny zu einer Lagerhaft von fünf Jahren verurteilt. Noch im Gerichtssaal wurde der Widersacher Präsident Wladimir Putins verhaftet. Zudem darf Nawalny nicht wie geplant Anfang September bei der Oberbürgermeisterwahl in Moskau kandidieren.

Richter Sergei Blinow verurteilte Nawalny und den Mitangeklagten Pjotr Ofizerow wegen Veruntreuung. Durch den Verkauf von 10.000 Kubikmeter Holz weit unter Wert sollen sie die staatliche Holzfirma „Kirowles“ um umgerechnet 400.000 Euro geprellt haben.

Beide Angeklagten hatten die Anschuldigungen zurückgewiesen. Als nach dreieinhalb Stunden stupider Urteilsverlesung das Strafmaß bekannt gegeben wurde, war dem sonst eher abgeklärten Nawalny die Wucht der Strafe anzumerken. Für einen kurzen Moment trübte sich sein Blick. Dann twitterte er, noch bevor sein Mobiltelefon eingezogen wurde: „O. k., langweilt euch nicht ohne mich.“ Es klang wie eine Beschwörung: „Wichtiger noch, lasst euch nicht gehen, die Kröte verschwindet nicht allein von der Ölpipeline.“ Dann klickten die Handschellen im Beisein seiner Frau und der Eltern.

Die Opposition hatte kritisiert, der Prozess ziele von vornherein nur darauf ab, den schärfsten Kritiker des Kreml-Chefs mundtot zu machen. Ein erstes Verfahren in Sachen „Kirowles“ war bereits vor Jahren als gegenstandslos eingestellt worden. Die Wiederaufnahme traf mit Korruptionsvorwürfen Nawalnys an die Adresse des Chefs der russischen Ermittlungsbehörde Alexander Bastrykin, einen engen Putin-Vertrauten, zusammen. Indirekt bestätigte auch die Justiz den politischen Hintergrund. Wer die Machthaber so herausfordere, dürfe sich über Reaktionen nicht wundern, meinte ein Behördensprecher sinngemäß.

Richter Blinow wies den politischen Charakter des Schauprozesses am Donnerstag nochmals ausdrücklich zurück. Handfeste Beweise blieb das Gericht in der Urteilsbegründung schuldig. Stattdessen wurden Telefonate und E-Mails als Belastungsmaterial verwendet, die aus einer illegalen Überwachung stammen.

So oder so ist die politische Karrerie Nawalnys beendet. Zwar war der 37-jährige Anwalt erst am Mittwoch von der Moskauer Wahlkommission als Kandidat für die Bürgermeisterwahlen registriert worden. Doch rechtskräftig Verurteilte sind seit einer von Putin angeregten Gesetzesverschärfung von Wahlen ausgeschlossen. Selbst bei einer Strafe auf Bewährung gilt das auf Lebenszeit. Unverhohlen zeigen sich darin die politischen Absichten der russischen Führung. Auf Jahre hinaus sollen Andersdenkende keine Chance zu politischer Teilhabe erhalten.

Leonid Wolkow, der den Wahlkampfstab Nawalnys leitet, teilte nach dem Urteil mit, der Oppositionelle ziehe seine Kandidatur von sich aus zurück. Das sei vorab mit Nawalny so besprochen worden: „Das Format der Agitation ändert sich. Der Wahlkampfstab wandelt sich in einen Wahlboykottstab“, sagte Wolkow.

Solange der Schuldspruch nicht rechtskräftig ist, könnte sich Nawalny weiter bewerben, zumal die Anwälte ankündigten in Revision zu gehen. Aussichten auf einen Erfolg bestehen indes nach diesem harten Urteil nicht. In diesem Sinne äußerte sich auch Ex-Finanzminister Alexei Kudrin. Mit dem Urteil solle Nawalny weniger bestraft als von Wahlen ferngehalten und vom gesellschaftlichen Leben isoliert werden, twitterte der enge Vertraute Wladimir Putins.

Für den Abend riefen Nawalnys Parteigänger zu einer „Volkswanderung“ in der Nähe des Kreml auf. Die Behörden warnten die Opposition vor ungenehmigten Protesten und ließen den Manegeplatz im Zentrum mit Metallgittern abriegeln.

Als Nawalny letzte Woche nach der Abgabe seiner Wahlbewerbung zu Anhängern und Journalisten gesprochen hatte, war er von der Polizei wegen einer angeblichen Ordnungswidrigkeit in einem Bus in Gewahrsam genommen worden. Seinen Anhängern war es jedoch gelungen, ihn durch Belagerung des Fahrzeuges freizupressen.

Für die Opposition ist die Verhaftung ihrer Leitfigur ein schwerer, aber nicht unerwarteter Schlag. Schließlich sei das auch eine Chance für neue Kräfte, die politische Bühne zu betreten, hatte Nawalny schon vor dem Urteil gesagt. Die Antikorruptionswebseite „Rospil“, mit der der Oppositionelle den Kreml bis zur Weißglut reizte, wird auf jeden Fall weiterlaufen. Die sei autonom, dafür habe er schon gesorgt, meinte der Familienvater.