: Von wilden Hunden und anderen Bestien
CRIME SCENE Aus dem Knast an den Schreibtisch: Sam Millars „Die Bestien von Belfast“ macht keine Gefangenen. Boiled harder
Mit einem Buch und einer Tüte Chips ins Bett und sich dort gemütlich einkuscheln, während draußen eisig der Wind pfeift?
Ja, solche Krimis gibt es natürlich auch. Und es gibt Sam Millar. Der Nordire schreibt Kriminalliteratur, an der man sich garantiert nicht wärmen kann. Der Appetit auf was auch immer vergeht einem eh gleich mit den ersten beiden Sätzen. „Die zierliche Frau lag ausgestreckt, leblos und unbemerkt im üppigen Gras. Obwohl sie kaum noch atmete, versuchte sie, die Augen zu öffnen, doch die blutverkrusteten Lider gehorchten ihr nicht.“ Weitere Einzelheiten folgen. Diese erste Szene wird geschildert aus der Perspektive einer Frau, die gefoltert, vergewaltigt und schwerverletzt in einem Wald liegengelassen wurde, in dem wilde Hunde sich von Aas ernähren. Sie endet nicht gut. Auch die zweite Szene nicht, in der ein kleiner Junge vergeblich vor dem wahnsinnigen Mörder seiner Mutter flieht.
Wer der kleine Junge ist, und was mit der halbtoten Frau wirklich passiert ist, erfährt man an dieser Stelle noch lange nicht. Und auch wenn es nicht wesentlich unblutiger weitergeht, wird das ultimative Grauen dieser ersten beiden Szenen später nicht mehr erreicht. Möglicherweise setzt aber auch ein gewisser Gewöhnungseffekt ein.
Relativ spät, und erst nachdem die meisten Morde des Romans geschehen und geschildert sind, wird der Ermittler eingeführt. Karl Kane ist ein mittelloser Privatdetektiv in mittleren Jahren mit etwas unklarer Vergangenheit. Er kann es sich nicht leisten, den seltsamen Klienten abzuweisen, der ihn eines Tages beauftragt, die Identität eines Toten herauszufinden, dessen Ermordung in einer Belfaster Tageszeitung gemeldet wurde.
Das geht relativ schnell; doch nicht nur, dass der Klient wiederkommt – es scheint noch mehr hinter der Geschichte zu stecken. Ein ums andere Mal ist Karl darauf angewiesen, sich Informationen von der Polizei zu beschaffen, wobei der Umgangston zwischen ihm und den Polizisten keineswegs herzlicher wird. Die extrem verletzende Sprache, die die meisten Dialoge kennzeichnet, hat der Autor in den Polizeiszenen ganz besonders schön ausgearbeitet. Schutz vonseiten der Staatsmacht ist in Millars Belfast nicht zu erwarten.
Die Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun können, kennt in dieser Welt keine Grenzen und keine Tabus. Millars Schreiben ist auf eine Art tabufrei, die deutlich jenseits von hardboiled liegt, weil ihm die literarische Pose fehlt; das schockierende Element ist bei ihm gleichsam roh. Das mag daran liegen, dass dieser Autor völlig andere Dinge erlebt hat als andere Thrillerkollegen und unter anderem mehrfach im Knast gesessen hat. In Nordirland jahrelang aus politischen Gründen, später in den USA wegen eines schweren Raubüberfalls. Nach seiner Begnadigung ließ Millar die Finger von Politik und Verbrechen und wurde Schriftsteller. Heute lebt er wieder in Belfast.
Am schlimmsten sind nicht einmal die explizit geschilderten Gewaltexzesse. Schlimm wird es bei Millar auch deshalb, weil sich laufend absurde Details in die Gewaltorgien mischen. Als ob es nicht viehisch genug wäre, einen gelähmten Mann, der sich unter seinem Bett versteckt hat, mit Kugeln zu durchsieben, muss auch noch ausgiebig darauf hingewiesen werden, wie sehr es im Zimmer stinkt, weil die Schuhe des Mörders über und über mit Hundekacke besudelt sind. Nur als Beispiel. Von der versuchten Leichenschändung soll hier gar nicht die Rede sein. Auch nicht von dem Mann, dessen Penis von einer Katze gefressen wird.
Millars Welt ist ein Kosmos der extremen Gewalt und der menschlichen Verrohung. So originell gestaltet das teilweise auch ausfällt, muss man es doch erst einmal aushalten können.
KATHARINA GRANZIN
■ Sam Millar: „Die Bestien von Belfast. Ein Fall für Karl Kane“. Aus dem Englischen von Joachim Körber. Atrium Verlag, Zürich 2013, 286 S., 16,95 Euro
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