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Ein leichter Fall

„Er möchte nicht für ein Kind zahlen, das er nicht gewollt hat“, sagt die Mutter über Willis Vater. Doch das muss er„Unterhaltsvorschuss – das sind alles Steuergelder“, sagt die Frau vom Jugendamt, „die müssen wir zurückholen“

AUS DRESDENSIMONE SCHMOLLACK

Jeden Morgen versinkt Rene Pieper in Schuld. Ab acht Uhr in der Früh beugt sich die Mitarbeiterin des Jugendamts Dresden über ihre Akten und taucht erst am Nachmittag wieder auf. Akten, in denen es um Mütter und Väter, vor allem aber um Kinder geht. Und um Geld.

Mütter und Väter, die nicht mehr zusammen sind und ihre Kinder getrennt oder gar nicht erziehen. Väter – sehr selten auch Mütter –, die für ihre Kinder keinen Unterhalt zahlen. Dann stehen sie in der Schuld. Gegenüber ihren Kindern. Oft auch gegenüber dem Jugendamt. Denn das kann einspringen, wenn Mütter vergeblich auf Alimente für ihre Töchter und Söhne warten. Das sind dann die Fälle, die bei Rene Pieper und ihren Kolleginnen landen. Rund 3.600-mal im vergangenen Jahr hat das Jugendamt Dresden Unterhaltsvorschuss gezahlt. Das Geld ist nur vom Steuerzahler geborgt, und das Jugendamt versucht, es sich von den Schuldnern, den Vätern, zurückzuholen. Ein mühsamer Prozess, der oft Jahre dauert und in nicht wenigen Fällen nie ein Ende findet.

Rene Pieper sitzt in Zimmer 309 des ungetümen Gebäudes, sie bearbeitet die Buchstaben S, T und Pl. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Ordner, in einem steckt der Fall Andrea S. Einer, der, wie Rene Pieper sagt, ein leichter ist. „Die schlimmen, das sind die, bei denen gar nichts mehr geht.“ Damit meint sie Alkoholismus und Langzeitarbeitslosigkeit. Bei diesen Vätern und Müttern können Frau Pieper und die anderen Mitarbeiterinnen des Jugendamts reden und fordern, wie sie wollen. Ihre Worte fallen in tiefe, dunkle Löcher. Nicht mal ein Echo kommt zurück.

Und doch ist der Fall Andrea S. exemplarisch. Weil er so alltäglich ist, banal fast. Aber das sind solche Fälle nie, weil es immer um ein Kind geht. Andrea S.’ Sohn Willi wird demnächst sechs Jahre alt. Als die heute 33-Jährige merkte, dass sie schwanger war, hatte sie sich von ihrem Freund Peter T.* gerade getrennt. Knapp ein halbes Jahr war sie mit ihm zusammen. Unterdessen hatte sie einen anderen Mann kennen gelernt, doch mehr als eine flüchtige Begegnung wurde auch daraus nicht. Jeder der beiden hätte der Vater des Kindes sein können. Das sagte sie auch den Männern. Als Willi auf die Welt kam, bestellte Andrea S. beim Jugendamt einen Vormund, um die Vaterschaft klären zu lassen. Ein Test ergab schließlich: Peter T. ist der Vater.

Das Jugendamt legte den Unterhalt fest, den Peter T. künftig für seinen Sohn zahlen sollte. 177 Euro monatlich. Das tat Peter T. aber nicht. „Er mochte nicht für ein Kind zahlen, das er nicht gewollt hat“, sagt Andrea S. Doch das muss er, ob er will oder nicht. Das verlangt das Gesetz.

Weil Andrea S. das Geld aber brauchte, beantragte sie erfolgreich beim Jugendamt Unterhaltsvorschuss. Noch bevor die erste Rate auf dem Konto von Andrea S. landete, hatte Rene Pieper schon die mächtige Jugendamtsmaschinerie angeworfen. Die kommt in solchen Fällen immer in Gang. Sie mahlt langsam, aber unaufhaltsam. Rene Pieper schrieb Peter T. Briefe. Unzählige. Darin forderte die Mitarbeiterin der Abteilung Beistandschaften den freiberuflichen Musiker und Tontechniker auf, seinen Unterhalt regelmäßig und in voller Höhe zu zahlen. Und auch die Schulden beim Jugendamt in Höhe von etwa 2.000 Euro, die durch den Unterhaltsvorschuss zustande gekommen waren.

Väter, die ihren Kindern keinen Unterhalt zahlen, geben mitunter fantasievolle Begründungen an, warum sie sich drücken. „Es gibt drei Kategorien“, sagt Jutta Opitz vom Bereich Unterhaltsvorschuss beim Dresdener Jugendamt. „Diejenigen, die voll zahlungsfähig sind, andere, die gerade so viel verdienen, dass sie einen Teilbetrag zahlen können, und wieder andere, die wirklich nichts haben.“ Die meisten seien in der zweiten und dritten Gruppe zu finden.

Dann gibt es aber auch welche, die verfügen über ein ausreichendes Einkommen, das sie allerdings geschickt verschleiern. Manchmal gehören dazu sogar Ärzte, Anwälte, Unternehmer. Auch das wissen Rene Pieper und Jutta Opitz. Diese Schuldner frisieren manchmal ihre Steuererklärung so, dass sie dann offiziell fast nichts verdienen. „Leider kann man denen das nicht nachweisen“, sagt Jutta Opitz.

Ob Peter T. dazu gehört, bleibt Spekulation. Er musste wie alle anderen die Steuerbescheide der vergangenen Jahre vorlegen, um sein Einkommen nachzuweisen. Danach verdient er im Monat 600 bis 800 Euro. Zu wenig, um Unterhalt zahlen zu müssen. Andrea S. sagt dazu: „Ich glaube, er verwendet mehr Energie darauf zu überlegen, wie er nicht zu zahlen braucht, als sich um seinen Sohn zu kümmern. Dreimal hat er Willi im letzten Jahr gesehen, immer nur für einen Tag.“ Sie senkt die Stimme, denn Willi macht im Nebenzimmer lange Ohren. Sie möchte nicht, dass er hört, wie sie über seinen Vater redet. Willi soll ihn mögen.

Auf seiner Website preist Peter T. seine zahlreichen Solo- und Bandkonzerte sowie Tourneen, er verweist auf CD-Produktionen und seine reich bestückte Tontechnik. Jedes Gespräch mit der taz lehnt er ab. Auch weil seine Berliner Anwältin auf einen niedrigeren Unterhaltssatz klagt: Er will statt der festgelegten 177 Euro nur 130 Euro monatlich zahlen. Stimmt Andrea S. dem zu, so der Vorschlag der Anwältin, wird sie diese Summe vermutlich bekommen. Weigert sie sich, hat die Juristin bereits angedroht, sehe sich ihr Mandant zu einer so genannten Abänderungsklage gezwungen. Ziel: „den Unterhalt auf null zu setzen.“ Erpressung? Die Anwältin bestreitet, dass sich Peter T. um seine Zahlungen drücken will: „Das ist eine Missinterpretation.“

In wenigen Tagen wird Andrea S. mit ihrem Sohn zur Kur ins Allgäu fahren. Willi hat Asthma, und deshalb bleiben Mutter und Kind oft zu Hause. Andrea S. fehlt nicht gern. Auch ihre Chefs in der Stadtverwaltung Dresden, wo sie angestellt ist, sähen es lieber, dass die Mitarbeiterin ihre Arbeitskraft voll der Behörde zur Verfügung stellt. Sie haben ihr angeboten, aus ihrem derzeit 30-Stunden-Job eine Vollzeitstelle zu machen. Über dieses Angebot muss die Landschaftsarchitektin nicht lange nachdenken. Sie wird es annehmen. Weil sie muss. Sie verdient 1.090 Euro netto, die sanierte, helle Zweizimmerwohnung in Dresden-Neustadt kostet 450 Euro warm. Auf den Unterhalt von Peter T. ist sie angewiesen. Oder eben auf den Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt.

„Das sind alles Steuergelder“, sagt Jutta Opitz. „Die müssen wir zurückholen, das sind wir der Gemeinschaft schuldig.“ Jugendämter haben dazu verschiedene Möglichkeiten. Zunächst werden die Säumigen freundlich aufgefordert, zu zahlen. Wer sich entzieht, wird gesucht: über die Krankenkassen, die Rentenversicherung, über die Flensburger Verkehrssünderdatei, das Finanzamt. „Wir finden fast alle“, sagt Jutta Opitz kämpferisch. Meist werden dann Ratenzahlungen in verträglicher Höhe vereinbart. Wer nicht mitmacht, wird gerichtlich dazu verpflichtet. Wer dann immer noch nicht zahlt, wird gepfändet. Nicht nur auf das Gehaltskonto von Angestellten kann zugegriffen werden, auch direkt beim Finanzamt, wenn es Selbstständigen Steuern aus dem Vorjahr rückerstattet. „Uns geht es nicht darum, die Säumigen über Maß zu belasten“, sagt Jutta Opitz. „Deshalb drängen wir darauf, dass die Schulden möglichst zeitnah beglichen werden.“

Trotzdem ist die so genannte Rückholquote gering. Als erfolgreich gelten Länder und Kommunen, die sich ein Viertel der gezahlten Vorschüsse zurückholen. In Dresden waren es im vergangenen Jahr 18 Prozent, 2002 waren es noch 23 Prozent. Damit liegt die Stadt im guten Durchschnitt. Bundesweit steht der Westen besser da als der Osten. So haben Bayern und Rheinland-Pfalz fast 40 beziehungsweise knapp 30 Prozent des gezahlten Unterhalts wieder eingetrieben, in Brandenburg waren es gerade mal 16 Prozent, in Sachsen 18.

An diesem Punkt ist die Geschichte von Andrea S. und Peter T. noch lange nicht. Obwohl sie schon seit fünf Jahren das Dresdner Jugendamt beschäftigt. Jetzt geht es erst mal darum, den Dialog mit der Anwältin von Peter T. zu führen. Das kann wieder Monate dauern. Papier ist geduldig. Rene Pieper auch. Das muss sie sein, sonst würde sie in ihrem Job verzweifeln. Außerdem muss sie gut überlegen, welche Verhandlungsmasse sie in die Waagschale wirft. Ist sie einmal unachtsam, kann das die Kommunikation erschweren und das Procedere unnötig verzögern. Im Fall von Andrea S. und Peter T. ist sie sich relativ sicher: „Ich würde Frau S. raten, das Angebot mit den 130 Euro anzunehmen. Besser als gar nichts.“

Das sieht Andrea S. aber anders: „Ein Vater, auch ein getrennter, hat für sein Kind aufzukommen.“ Einem möglichen Verfahren blickt sie mit Bauchschmerzen entgegen. „Gewinnt er“, fürchtet sie, „bekäme ich künftig gar keinen Unterhalt und müsste als Verliererin noch die Gerichtskosten tragen.“ Rene Pieper hat ihr daher dringend geraten, rechtzeitig einen Antrag auf Gerichtskostenbeihilfe zu stellen. „Das hat Frau S. nicht getan“, sagt sie. „Mehr als reden kann ich auch nicht.“

Manchmal aber sind es auch die Richter, die bei Prozessen merkwürdig entscheiden. Jutta Opitz hat schon im Gerichtssaal gesessen und gestaunt: „Wenn eine allein erziehende Mutter arbeitet und der Vater nicht, kann es passieren, dass das Gericht sagt, der Vater muss nicht zahlen. Das ist doch ungerecht.“

Das ist bei Andrea S. und Peter T. nicht der Fall. Doch Peter T. wird sich darauf einstellen müssen, sich einen zusätzlichen Job zu suchen. „Er hat die Auflage, alles Rechtmäßige zu tun, um zu Geld zu kommen“, sagt Rene Pieper. Im gleichen Atemzug lenkt sie ein: „Dabei müssen wir aber auch die miese Arbeitsmarktlage beachten.“ Aber auch das wird Peter T. nicht davor schützen, seine Schulden zahlen zu müssen. „Wenn er nachts als Musiker arbeitet“, sagt Rene Pieper, „kann er tagsüber etwas anderes machen.“* Name geändert

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