: „Die Ängste verloren“
WORKSHOP Augenzeugen berichten über die Proteste in Istanbul und die Perspektiven für die Bewegung
■ 37, Mitglied des Attac-Koordinierungskreises, war mit einer Delegation bei den Protesten im Gezi-Park in Istanbul.
taz: Herr Denter, Sie haben die Proteste in Istanbul miterlebt und sagen „Taksim ist überall!“, warum?
Roman Denter: Ob in Spanien auf der Puerta del Sol, in Athen auf dem Syntagma-Platz, oder in Frankfurt vor der EZB: Nicht nur auf dem Taksim-Platz, sondern in ganz Europa entstehen Proteste gegen neoliberale Krisenregime, rücksichtslose Großprojekte und Demokratiedefizite. Jetzt müssen sich die sozialen Bewegungen miteinander solidarisieren.
Wie haben Sie die Räumung des Gezi-Parks am 15. Juni erlebt?
Die Selbstorganisation des Gezi-Parks zu sehen, war überwältigend. Hier wurde eine andere Welt möglich. Die Räumung mit Wasserwerfern und Tränengas kam dann wie aus heiterem Himmel. Der Park hat nur wenige Fluchtwege – die Polizei hat darauf spekuliert, dass es zu Verletzten oder sogar Toten kommt.
Wofür steht die neue Protestbewegung in der Türkei?
Berufsverbände, Gewerkschaften, Prekäre aus den Vorstädten und vor allem viele junge und neu politisierte Menschen protestieren gemeinsam. Auslöser war der Plan, den Gezi-Park mit einem Einkaufszentrum zu bebauen. Entstanden ist eine breite soziale Bewegung, die sich für demokratische Rechte, soziale Gerechtigkeit, Emanzipation, Nachhaltigkeit und gegen die Militarisierung der türkischen Außenpolitik einsetzt. Doch diese politischen Ziele wurden in deutschen Medien leider oft falsch dargestellt.
Wieso?
Gefordert wurde nicht eine Demokratie nach deutschem Vorbild, sondern ganz neue Beteiligungsformen einer pluralen Demokratie. Außerdem spielen knallharte soziale Forderungen eine Rolle. Davon hört man kaum etwas. Dieser Protest war ein wichtiger emanzipatorischer Schritt für die türkische Gesellschaft: Die Menschen haben ihre Ängste verloren und erkannt, dass eine andere Art von Politik eingefordert werden kann.
Wie sollte sich die deutsche Regierung zur Türkei verhalten?
Die Türkei ist Unterzeichner der europäischen Menschenrechtskonvention, Erdogan hat sich aber in die Tradition autoritärer Regime gestellt. Darum müssen Sicherheitskooperationen und Waffenlieferungen jeder Art in die Türkei sofort eingestellt werden. INTERVIEW: ANNIKA LASARZIK
Attac Sommerakademie, Workshop „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“ mit Mehmet Yildiz (Linke), Yusuf Uzundag (Grüne) und Serkan Biçen, Fotojournalist: 17 Uhr, Gesamtschule Bergedorf, Raum OH2, Ladenbeker Weg 13