: Die aus der Höhe kommen
Die Gegner der Deutschen in WM-Gruppe A: Ecuador. Zu Hause sind die Südamerikaner eine Macht, doch bei der Fußball-Weltmeisterschaft müssen sie sich auswärts beweisen, noch dazu im ungeliebten Flachland. Kann das gut gehen?
AUS QUITO STEFFEN RÖSSEL
Für Fernando Padin gehört der Besuch der Iglesia Santo Domingo, auf über 2.850 Metern mitten im Herzen der Unesco-geschützten Altstadt Quitos gelegen, längst zum allwöchentlichen Ritual des Sonntagvormittags. Dort betet er für sich und seine Familie, ist dankbar für die Gaben und das Glück in der Vergangenheit und beschwört die Zukunft. Wie alle seinen fußballbegeisterten Landsleute schließt auch er die ecuadorianische Nationalmannschaft mit in sein Gebet ein, und manchmal, wenn es ganz eng wird, zündet er auch schon mal eine Kerze an, die dann für den entscheidenden Unterschied auf dem Rasen sorgen soll. Stolz sind sie, die Ecuadorianer, nachdem ihre Landesfarben auch bei der Weltmeisterschaft in fernen Deutschland vertreten sein werden.
Doch Fernando hat seine ganz eigene Geschichte zu erzählen, und sein Gesichtsausdruck wird sehr ernst, wenn er die fast schon tragischen Ereignisse des 16. November 1997 zum Besten gibt: „Es war der letzte Spieltag der Qualifikation für die WM in Frankreich, wir mussten in Uruguay antreten und hatten mit einem Sieg noch eine kleine Chance auf die WM-Teilnahme. Chile und Peru spielten beide zu Hause, sie durften nicht gewinnen, dann wären wir durchgewesen.“ Untröstlich fährt er fort: „Aber ich habe es an jenem Sonntag nicht in die Kirche geschafft.“ Folglich brach das gesamte Unglück über Ecuador zusammen; bei den Urus gingen sie mit 3:5 unter, außerdem gewannen Chile und Peru ihre Heimspiele, der WM-Traum war geplatzt.
Dieser Umstand führte bei Fernando zu Schuldgefühlen, bei den Verantwortlichen der FEF, dem ecuadorianischen Fußballverband, begann man jedoch nachzudenken, wie sich die kleine Andenrepublik im großen, weiten Weltfußball behaupten könnte. Vier Jahre später schaffte die Mannschaft unter Trainer Hernán Darío Gómez einen sensationellen zweiten Platz in der Qualifikation und qualifizierte sich erstmals für eine WM, das Championat in Japan und Korea. Dies führte zu einem Ausnahmezustand im gesamten Land und großen Hoffnungen, die sich allerdings ein halbes Jahr später nicht erfüllten: Mit zwei Niederlagen gegen Italien (0:2) und Mexiko (1:2) sowie einem abschließenden 1:0-Erfolg gegen Kroatien schieden die tapferen Ecuadorianer nach der Vorrunde aus. Zwei Jahre später musste der von allen verehrte Coach Gómez seinen Hut nehmen, bei der Copa America blamierte sich die „Tricolor“ bis auf die Knochen und unterlag in allen drei Partien. Auch in den ersten sieben Spieltagen der vergangenen WM-Qualifikation waren die Ergebnisse durchwachsen.
Der Kolumbianer Luis Suárez übernahm ein völlig verunsichertes Team und verjüngte es. Spielmacher Alex Aguinaga trat bereits kurz vorher zurück, somit war die Mannschaft nicht mehr so stark von einem einzigen Spieler abhängig wie noch 2002. Heute ist die Verantwortung auf mehreren Schultern verteilt, beispielsweise den Profis Ulises de la Cruz von Aston Villa, Luis Valencia (CF Villareal) oder den beiden Katar-Legionären Ivan Hurtado und Carlos Tenorio. Dazu kommen Iván Kaviedes von den Argentinos Juniors und Roberto Mina vom US-Team Dallas Burns.
Den Block aus der einheimischen Liga bilden Spieler wie etwa der extrovertierte Torhüter Cristian Mora, Verteidiger Paul Ambrossi, Spielmacher Edison Mendez sowie der dreimalige Fußballer des Jahres, Franklin Salas, alle vom Klub Liga Deportivo Universitaria Quito. Letzterer erholt sich gerade von einer schweren Knieoperation, und es ist fraglich, ob er bis Anfang Juni wieder fit ist – auch wenn sich Coach Suárez optimistisch gibt: „Salas ist dabei!“
Auch auf Christian Lara, welcher bisher die Rolle des Edel-Jokers einnimmt, ist zu achten. Der routinierte Stürmer Delgado ist gefährlich, in der letzten Phase der WM-Quali steuerte er fünf Treffer bei. Im Testspiel gegen die Niederlande am Mittwoch traf er nicht. Holland gewann 1:0 in Amsterdam. Ecuador zog sich aber achtbar aus der Affäre. „Für uns war dieses Spiel eine sehr gute Gelegenheit, in Europa zu testen. Ich bin sehr zufrieden und habe volles Vertrauen in meine Mannschaft“, sagte Coach Suarez nach der respektablen Leistung, im Übrigen nicht der einzigen. Auf dem Weg nach Deutschland wurde Weltmeister Brasilien zu Hause mit 1:0 bezwungen.
Daheim war die Mannschaft eine Macht, aus neun Heimspielen resultierten sieben Siege. Auswärts wurden magere fünf Punkte geholt. Die dünne Bergluft wird den Ecuadorianern sicher fehlen. Sie spielen in Gelsenkirchen, Hamburg und Berlin. Dennoch ist sich Luis Suárez sicher, in Deutschland etwas bewegen zu können: „Unsere Stärke ist ganz klar die mannschaftliche Geschlossenheit, da läuft jeder für den anderen. Mittlerweile reicht es uns nicht mehr, uns für die Weltmeisterschaft qualifiziert zu haben, nun wollen wir mindestens das Achtelfinale erreichen“, erklärt er.
Derweil ist in Ecuador eine deutliche Professionalisierung innerhalb der FEF zu beobachten. Verbandspräsident Luis Chiriboga Acosta eröffnete im November 2004 den neuen Ecuafútbol-Sitz in Guayaquil, außerdem ist ein zehn Hektar großes Trainingszentrum für die Nationalmannschaft in Quito in der Planung.
Das ecuadorianische Team ist bei der WM durchaus für eine kleine Überraschung gut. Und sollte Fernando Padin vier Tage vor Ecuadors Eröffnungsspiel gegen Polen nicht wieder vergessen, in die Kirche zu gehen, kann sogar eine größere Überraschung daraus werden.