Mutter als Verbündete

Die Gynäkologin Gülnaz Gönül-Aslan sieht sich selbst als moderne deutsche Mutter. Bei der Betreuung ihrer einzigen Tochter helfen die Großmütter

VON NINA APIN

„Das ist meine Kleine“, Gülnaz Gönül-Aslan zeigt stolz auf ein Foto, das mit einem Magneten an den Kühlschrank gepinnt ist. Tochter Sara ist vier, ein hübsches Mädchen mit dunklen Knopfaugen und langem braunem Haar. Gülnaz hat Urlaub, gleich wird sie ihre Tochter von der Kita abholen, um mit ihr einen seltenen gemeinsamen Nachmittag zu verbringen. Sie arbeitet als Ärztin in der Gynäkologischen Abteilung der Westend-Klinik. Zwischen Diensten, Rufbereitschaft und Facharztfortbildung bleibt nur wenig Zeit, die sie mit Sara und Ehemann Hakan verbringen kann.

Die Küche der Aslans in Moabit ist hell, modern und nur spartanisch eingerichtet. Gegessen wird meist bei Hakans Eltern, die um die Ecke wohnen, oder bei Gülnaz’ Familie im Wedding. Die Omas unterstützen das berufstätige Ehepaar nach Kräften: Abwechselnd holen sie Sara von der Kita ab und bekochen die Eltern. „Meine Familie gibt mir die Freiheit, mich voll und ganz meiner Arbeit widmen zu können“, sagt Gönül-Aslan. Die zierliche blonde 35-Jährige bezeichnet sich selbst als „moderne deutsche Mutter“, doch sie hat eine traditionelle türkische Großfamilie im Rücken.

Gülnaz Gönül-Aslan wurde 1970 in Heidelberg als zweites von fünf Kindern geboren. Ihre Eltern waren zwei Jahre zuvor als Gastarbeiter aus der Osttürkei nach Deutschland gekommen. Als Gülnaz vier Jahre alt war, zog die Familie nach Berlin-Wedding, wo bereits zahlreiche Verwandte lebten. Die Gönül-Schwestern wuchsen gemeinsam mit fünf Cousins und Kusinen auf, betreut von wechselnden Tanten und gegängelt von traditionellen Vorstellungen. „Freizügigkeit gab es nicht“, erinnert sich Gülnaz. „Wir durften nach der Schule nicht draußen sein, keine Freunde haben, nicht einmal bei den Kusinen übernachten.“ Die Eltern hatten Angst vor der gesellschaftlichen Freizügigkeit in Deutschland, die Mädchen wuchsen damit auf. Ein Konflikt war unausweichlich.

Doch die Mädchen wahrten stets den Respekt gegenüber der Mutter, die neben ihrer Arbeit als Reinigungskraft Haushalt und Erziehung schulterte. „Freiheit auf Kosten der Familie wollten wir nicht“, sagt Gülnaz. Also verzichteten sie bei Verwandtenbesuchen auf Miniröcke und verheimlichten Liebesbeziehungen. So gewannen sie die Mutter als Verbündete, die ihren Lebenswandel gegen den Vater und die Großfamilie verteidigte. Gülnaz und ihre ältere Schwester machten Abitur, reisten mit Interrail durch Europa und studierten. „Die Bildung war unser Weg in die Freiheit“, erinnert sich Gülnaz. Um ungestört studieren zu können, durfte sie mit ihrer Schwester sogar zusammen in eine Wohnung ziehen.

Gülnaz wollte eigentlich nie heiraten und Kinder bekommen. Zu kostbar war ihr die Selbstständigkeit, die sie errungen hatte, zu präsent das Bild der eigenen Mutter, die sich für die Familie aufopferte. An erster Stelle stand stets ihr Beruf als Ärztin. Anderen Frauen helfen und Leben schenken war ihr Erfüllung genug – bis sie Hakan kennen lernte. Er ist Sozialpädagoge, auch seine Eltern stammen aus der ländlichen Osttürkei. Doch sie sind Sunniten, Gülnaz, die nicht religiös aufgezogen wurde, war erstaunt über die heftige Ablehnung ihrer alevitischen Eltern. Zwei Jahre dauerte es, bis die Eltern in die Ehe einwilligten. Die ältere Schwester leistete Überzeugungsarbeit.

Bei der Kindererziehung will Gülnaz vieles anders machen als ihre eigene Mutter. Die Freiheiten, die sie sich erst mühsam erkämpfen musste, soll Sara von Anfang an haben. Und sie soll all ihre Probleme mit ihrer Mutter besprechen können – auch das ist etwas, was Gülnaz in ihrer eigenen Kindheit vermisste. „Meine Mutter war für die Erziehung, das Essen und den Haushalt zuständig“, erinnert sie sich, „aber mit Problemen in der Schule oder gar Liebeskummer konnte man ihr nicht kommen – was nicht sein durfte, darüber redete man nicht.“

Gülnaz hatte ihre Schwestern, mit denen sie Probleme diskutieren konnte. Sara wird dafür vielleicht nur die Mutter und den Vater haben. Ein weiteres Kind plant Gülnaz erst einmal nicht, sie will sich auf die Facharztausbildung konzentrieren. Mit nur einem Kind wäre die 35-Jährige in ihrem Freundeskreis kein Einzelfall. Sie beobachtet, auch im Alltag in der Klinik, ein Umdenken in der türkischen Community. „Das Muttermodell mit vielen und frühen Kindern ist nicht mehr der Normalfall“, sagt sie und fügt hinzu: „Gott sei Dank“.