Festung Eigenheim

Ein herber, abenteuerlicher Film, der trotzdem Familien als Systeme des Schweigens entlarvt: „Der Vater meiner Schwester“ (20.15 Uhr, ARD)

VON CHRISTIAN BUSS

Auf einmal liegt da eine Fährte in die eigene Vergangenheit: „Das Sparbuch ist von deinem Vater“, sagt die Mutter (Anke Sevenich) und schmeißt ihm lapidar den Fetzen Papier ins Zimmer. Sie meint es nicht böse, aber wie soll man es sagen, dass man den eigenen Sohn 19 Jahre belogen hat?

Paul (Ludwig Blochberger) ist weder über den unverhofften Reichtum glücklich noch über die frohe Botschaft, dass er doch keine Halbwaise ist. Bislang glaubte er, sein Erzeuger sei als Arzt nach der Giftgas-Katastrophe in Bhopal gestorben. Das ist doch etwas, mit dem es sich leben lässt: ein tragischer Einschnitt in der Familien-Biografie, über den man sich selbst definieren kann. Traurig, großartig und wahrhaftig fühlt sich das an.

Aber die Wahrheit ist dann eben oft weniger grandios. Vater Klaus (Christian Berkel) wohnt nur ein paar Stadtquartiere weiter. Er hat ein Eigenheim und darin eine Frau und eine Tochter. Ein Eigenheim wie eine Festung übrigens, in der er als Hausherr keine Eindringlinge duldet. Als der verlorene Sohn sich meldet, redet er mit ihm wie mit einem Mann. Oder genauer: wie mit einem Gegenspieler.

„Du bist doch erwachsen und klug“, sagt er, „ich hab’ da ein Problem.“ Die glückliche Familie weiß nichts von dem Seitensprung, aus dem Paul hervorgegangen ist. Der Vater würde also doch sehr darum bitten, dass sich der Sohn zukünftig aus seinem Leben heraushalte. Irgendwie komisch: Erst lügt man ihm 19 Jahre die Hucke voll, dann soll er auf einmal die ganze Wahrheit schultern wie ein echter Kerl. Wie soll Paul sich da fühlen?

Jahrzehntelang gepflegte Lügen und plötzlich hereinbrechende Wahrheiten – Christoph Stark und Co-Autor Jochen Blitzer haben daraus ein eindringliches Drama gestrickt. Familien, egal ob Rumpf-, Patchwork oder klassische Kleinfamilien, sind ja oft Systeme des Schweigens. Was passiert, wenn so ein System auf einmal zusammenbricht? Stark und Blitzer, die getrennt voneinander bereits Episoden des subtilen Psychologie-Krimis „Bloch“ verfasst haben, entwickeln aus dieser Situation einen abenteuerlichen, aber niemals aus dem Ruder laufenden Plot.

Der Junge holt sich, was ihm zusteht: die Aufmerksamkeit des Vaters. Dafür freundet er sich mit dessen Tochter (Katharina Schüttler) an, die nichts von seiner wahren Identität ahnt. So rückt Paul seinem feigen Erzeuger immer mehr auf die Pelle; vielleicht die einzige Art, dessen auf Hochtouren laufenden Verdrängungsapparat kollabieren zu lassen.

Es geht ums Ganze, doch die Filmemacher beweisen auch ein gutes Gespür für die Kleinigkeiten, in denen sich dieses Ganze manifestiert. Für die kaum wahrnehmbaren Erschütterungen, durch die die beiden familiären Parallelkosmen aufgerissen werden, sich so aber eben auch füreinander öffnen können. Klugerweise hat man den drohenden Inzest-Konflikt (das Mädchen ist drauf und dran, sich in ihren Halbbruder zu verlieben) nicht zu seinem ungeheuerlichen Ende geführt, das hätte das Stück zum Kippen gebracht. Dieser Konflikt fungiert hier mehr oder weniger als Kniff, den unverbesserlichen Alten endgültig aus der Reserve zu locken.

So ist „Der Vater meiner Schwester“ ein effizientes, schroffes und gelegentlich sogar recht amüsantes Vater-Sohn-Bruder-Schwester-Drama geworden. Familienzusammenführung auf die harte Tour.