: Eine Gas-Nato?
Mit einem Beistandspakt will Brüssel die Energieversorgung der EU sichern
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat im Umgang mit den launischen Regierungschefs dazugelernt: Sie wollen in Energiefragen das letzte Wort behalten. Gleichzeitig soll die EU-Kommission dafür geradestehen, dass in Europa die Lichter nicht ausgehen. Im gestern vorgestellten Grünbuch über die künftige Energiepolitik der EU wird der schwarze Peter an die Mitgliedstaaten zurückgespielt.
„Wir fragen die Staaten, wie weit sie in der Gemeinsamkeit gehen wollen“, erklärte Barroso gestern und setzte dabei sein bedrohlichstes Lächeln auf. Nun seien die nationalen Regierungen am Zug. Besteht Übereinstimmung, dass es einen Binnenmarkt für Energie geben soll? Wie kann die Kommission überfällige Investitionen ins Versorgungsnetz durchsetzen? Wie stellt die EU sicher, dass alle Europäer Energie zu akzeptablen Preisen kaufen können und nicht Arbeitsplätze durch steigende Öl- und Gaspreise bedroht werden? Soll die EU klimafreundliche Energieformen fördern? Soll die Gemeinschaft Energiekrisen gemeinsam meistern?
Die Hälfte des europäischen Gasverbrauchs stammt heute aus drei Ländern: Russland, Norwegen und Algerien. Wenn sich nichts ändert, wird Europa in 25 Jahren 80 Prozent seines Gasbedarfs aus diesen Quellen beziehen. Deshalb wartet Barroso beim Thema Außenpolitik gar nicht erst eine Antwort ab. Noch vor dem EU-Frühjahrsgipfel Ende März wird er Präsident Putin besuchen, um die Energiepartnerschaft mit Russland zu stärken. „Es ist auch im russischen Interesse, einen stabilen Markt und einen zuverlässigen Geschäftspartner zu haben“, sagte Barroso selbstbewusst.
In ihrem Grünbuch lässt die Kommission keinen Zweifel daran, dass mit nationalen Eitelkeiten Schluss sein muss. Auf 1.000 Milliarden Euro wird der Investitionsbedarf für Europas Energienetz in den nächsten 25 Jahren geschätzt, wenn es nicht zu ständigen Stromausfällen kommen soll. Die Wirtschaftsentwicklung, Exportchancen und Arbeitsplätze sind von einem Faktor abhängig, den jedes Land für sich kaum beeinflussen kann – den Preisen für Gas und Öl. In den vergangenen zwei Jahren haben sie sich fast verdoppelt.
Die Nachrichtenlage sorgt dafür, dass das Grünbuch von Energiekommissar Piebalgs zusätzliche Brisanz erhält. Der drastische Anstieg der Ölpreise letztes Jahr und der Streit zwischen Russland und der Ukraine über den Gaspreis zu Beginn dieses Jahres haben die Sorge um die Energiesicherheit viel stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Auf dem Frühjahrsgipfel wird sie eins der großen Themen sein. Für Gesprächsstoff ist gesorgt. Denn Piebalgs hat die polnische Forderung nach einem „Energie-Beistandspakt“ aufgegriffen. Sollte ein Terroranschlag, eine Naturkatastrophe oder ein Streit um den Gaspreis zwischen Russland und Polen dazu führen, dass in Warschau die Lichter ausgehen, müssten die europäischen Partnerländer helfen.
Das funktioniert aber nur, wenn alle Mitgliedsländer ihre Öl- und Gasreserven nach Brüssel melden und wenn Mindestreserven für alle vorgeschrieben werden. Deshalb wird im Grünbuch eine europäische Beobachtungsstelle für Energiereserven vorgeschlagen, die die Internationale Energieagentur ergänzen soll. Außerdem solle die nach den Stromausfällen 2003 begonnene enge Zusammenarbeit zwischen den nationalen Energiebehörden und der Kommission verstärkt werden. Langfristig könnte das in ein europäisches Überwachungszentrum für die Energie-netze münden. Auch der Schutz der Energieanlagen vor Anschlägen könnte künftig von der EU übernommen werden.
Zustimmung zu diesen Plänen gibt es bereits. Der flämische Energieminister, Kris Peeters, möchte, dass Brüssel eine Oberaufsicht über den europäischen Energiemarkt bekommt. Auch der amtierende Ratspräsident, der österreichische Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, denkt laut über einen EU-Energieregulator nach. Dass beide Politiker aus kleinen Mitgliedstaaten stammen, ist kein Zufall. Im derzeit wütenden Fusionsfieber der großen Energiekonzerne gehen die kleinen Länder leer aus. Nur die EU kann ihre Versorgungssicherheit garantieren.
Barroso kommentiert die derzeitigen nationalen Töne im Fusionsstreit zwischen der spanischen Endesa und der deutschen Eon oder Frankreichs Abwehr gegen den italienischen Kaufinteressenten Enel so: „Die Regierungschefs haben sich in Hampton Court einstimmig für eine gemeinschaftliche Energiepolitik ausgesprochen. Jeder weiß, dass 25 Minimärkte für Energie global nichts ausrichten können.“ Derzeit sei der Konzentrationsprozess extrem. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres habe es im europäischen Energiesektor Fusionen im Wert von 117 Milliarden Dollar gegeben – fast so viel wie im ganzen Jahr 2005. Nur Brüssel könne dafür sorgen, dass ein funktionierender Energiebinnenmarkt mit fairen Wettbewerbsregeln in Europa entstehe.
Die umstrittene Frage, Kernenergie: ja oder nein, spart die Kommission im Grünbuch diplomatisch aus. Jedem Land bleibe überlassen, wie es seinen Energiemix gestalten wolle. „Geringer CO2-Ausstoß bedeutet für manche Windenergie, für andere moderne Kohlekraftwerke oder Kernkraft – wir sollten die unterschiedlichen Sichtweisen respektieren und keine Tabus errichten“, meinte Barosso.