die taz vor zwölf jahren: André Gorz zur Zukunft der Arbeit
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Die Arbeitslosigkeit steigt, und eine Änderung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, würden sämtliche technischen Möglichkeiten konsequent angewandt, könnten in Deutschland nach neuesten Untersuchungen weitere neun Millionen Arbeitsplätze eingespart werden. Für den französischen Philosophen André Gorz, einen der wenigen linken Vordenker der postindustriellen Gesellschaft, ist das kein Grund zur Panik. „Bei einer richtigen Steuerung“, so Gorz, ist „die mikroelektronische Revolution ein Versprechen und keine Bedrohung. Denn im Kern wird uns damit ja gesagt: Leute, bei halb soviel Arbeit wie bisher könntet ihr alle besser leben und über immens größere Möglichkeiten der Selbstgestaltung verfügen.“

Gorz hält die jetzt praktizierte Form der Arbeitszeitverkürzung bei entsprechend weniger Lohn zwar kurzfristig für unumgänglich, bei einer echten Neugestaltung der Nach-Arbeitsgesellschaft aber für nicht akzeptabel.

Um zu verhindern, daß die Gesellschaft in zwei Gruppen zerfällt, bei denen die eine von Sozialunterstützung und die andere von den enormen Gewinnen im Hochleistungssektor lebt, schlägt er vor, möglichst viele Arbeitnehmer möglichst flexibel auf die hochproduktiven Bereiche aufzuteilen – auch wenn das nur noch einige Monate im Jahr sein sollten. Angesichts der Entwicklung in den USA prognostiziert Gorz auch für Europa, daß Arbeitsverhältnisse mit Vollarbeitszeit zur Rarität werden. Die Unternehmen wollten eine maximale Flexibilität und Arbeitsverhältnisse, die den neuen Produktionsbedürfnissen angepaßt sind.

Gorz rät den Gewerkschaften, sich nicht vergeblich gegen diese Entwicklung zu stemmen, sondern mit darauf zu achten, daß möglichst viele mit einem kleinen Zeitanteil an diesen Produktionsverhältnissen beteiligt bleiben. Die verbleibende Zeit sollte für gesellschaftlich notwendige und sinnvolle Arbeit verwendet werden. Dazu müsse es, außer dem Lohn, noch einen „zweiten Scheck“ geben. Der werde vom Staat ausgestellt und über Steuern finanziert. Gorz plädiert für ein „gesichertes ausreichendes Normaleinkommen und die Pflicht zu einem begrenzten Quantum gesellschaftlich wertvoller Arbeit, die auch selbstbestimmt sein kann.“ taz, 10. 3. 1994