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Archiv-Artikel

Foltergefängnis Abu Ghraib wird geschlossen

Die innenpolitische Lage im Irak ist desaströs: Während die Regierungsbildung weiter auf sich warten lässt, eskaliert die Gewalt auf der Straße. An die tausend Todesopfer seit dem Attentat auf einen heiligen Schrein der Schiiten

KAIRO taz ■ „Die irakischen Politiker sollen endlich den Ernst der Lage erkennen und eine Regierung der nationalen Einheit bilden, um einen Bürgerkrieg zu verhindern.“ Die Worte des US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei einer Anhörung in einem US-Senatsausschuss klangen fast wie ein Plädoyer und gleichzeitig wie ein Geständnis, wie wenig die Ereignisse im Irak noch von Washington kontrolliert werden.

Eigentlich sollte am Wochenende erstmals das vor drei Monaten gewählte irakische Parlament zusammentreffen und einen neuen Regierungschef bestimmen. Doch der irakische Präsident Dschalal Talabani hat die Sitzung nun um eine Woche auf den 19. März verschoben. Zu groß ist das Gerangel um das Amt des neuen Ministerpräsidenten. Die Parlamentswahlen und die erste irakische Regierung, die nicht mehr mit dem Beiwort „Übergang“ besetzt ist, sollten ein Hoffnungsschimmer sein, dass es im Irak nun doch politisch voran geht. Doch der ist inzwischen erloschen. Der schiitische Mehrheitsblock im Parlament hätte eigentlich einen Kandidaten numerisch durchsetzten können. Doch selbst innerhalb des schiitischen Blocks erwies sich die Besetzung des Kandidaten als schwierig. Mit nur einer Stimme Mehrheit schickte der schiitische Block den bisherigen Premier Ibrahim al-Dschaafari auch als neuen Regierungschef ins Rennen. Knapp dahinter abgeschlagen landete Adel Abdul Mahdi, der dem Obersten Rat der Islamischen Revolution (SCIRI) angehört.

Nicht nur fast die Hälfte des eigenen Blocks sieht in al-Dschaafari einen ungeeigneten Kandidaten, Sunniten, säkulare Nationalisten und Kurden haben sich inzwischen offen gegen seine Nominierung ausgesprochen. Eigentlich bräuchte das vom Bürgerkrieg bedrohte Land einen Ministerpräsidenten, der die ethnischen und religiösen Bruchstellen überbrückt und von allen Seiten akzeptiert wird. Aber ein solcher irakischer Übervater ist derzeit nicht in Sicht.

Al-Dschaafari hat es weder geschafft die sunnitischen Aufständischen effektiv zu bekämpfen, noch die im Namen des Innenministeriums marodierenden schiitischen Milizen unter Kontrolle zu bekommen. Unter seiner Amtsführung hat Irak einen großen Schritt in Richtung Bürgerkrieg getan. Die Korruption in den Ministerien hat neue Höhen erreicht, die staatlichen Dienstleitungen sind dagegen auf ihrem Tiefststand angelangt.

Niemand weiß genau, wie viele Menschen den ethischen und religiösen Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen sind, die seit dem Anschlag auf den schiitischen Schrein der Askariya-Moschee am 22. Februar eskaliert waren. Etwas über 500 lautet die offizielle Version. Doch die wird angezweifelt. Mitarbeiter des zentralen Bagdader Leichenhauses sprechen hinter vorgehaltener Hand von über 1.000 Mordopfern in den ersten sechs Tagen. Das Leichenhaus war nach dem Moschee-Attentat so überlastet, dass sogar extra Kühlwagen angemietet werden mussten. Wurden bisher meist schiitische Opfer von Bombenanschlägen eingeliefert, sind es nun vor allem sunnitische Männer mit Kopf- oder Genickschuss. Die Exekutionen werden schiitischen Milizen zur Last gelegt, die zum Teil unter dem Deckmantel des Innenministeriums ihr Unwesen treiben. Die Außenwelt erfährt indes nur noch von den Höhepunkten der Eskalation. Etwa als am Mittwoch bewaffnete Männer in Kampfanzügen in das Gebäude einer privaten Sicherheitsfirma eindrangen und 50 Mitarbeiter „verhafteten“ oder „verschleppten“. Ihr Schicksal ist ungewiss.

Immerhin einen Lichtblick gab es diese Woche. Wie ein Sprecher der US-Armee am Donnerstag mitteilte, soll das wegen Folter weltweit in Verruf geratene Militärgefängnis Abu Ghraib bei Bagdad geschlossen werden. Die etwa 4.500 Insassen sollen binnen drei Monaten in andere Gefängnisse verlegt werden. Abu Ghraib geriet vor zwei Jahren in die Schlagzeilen, als zahlreiche Fotos veröffentlicht wurden, die Misshandlungen von Insassen durch US-Soldaten dokumentierten. KARIM EL-GAWAHRY