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Archiv-Artikel

Eine Wahnsinnsohrfeige

FREIHEIT Pünktlich vor der bayerischen Landtagswahl wird der umstrittene Fall Mollath nun doch neu verhandelt

Der Fall Mollath

■ Haft: Sieben Jahre saß er in der Psychiatrie, weil er als „unzurechnungsfähig“ und „gemeingefährlich“ galt.

■ Vorwurf: Mollath wurde von seiner Exfrau wegen schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung angezeigt.

■ Gegenvorwurf: Mollath zeigte seine Frau daraufhin wegen Schwarzgeldgeschäften an. Diese Vorwürfe stellten sich später als zum Teil zutreffend heraus.

■ Prozess: Immer wieder Anträge zur Wiederaufnahme des Verfahrens. Das Landgericht Regensburg lehnte am 24. Juli 2013 ab.

■ Politik: Besonders in der Kritik steht Justizministerin Beate Merk (CSU), die lange jeden Zusammenhang zwischen der Einweisung und den Schwarzgeldvorwürfen verneinte und bis 2012 eine Wiederaufnahme ablehnte. Erst zuletzt schwenkte sie um. (sny)

AUS MÜNCHEN MARLENE HALSER

Gustl Mollath kommt frei. Deutschlands bekanntester Psychiatrieinsasse durfte die Station FP4 des Bezirkskrankenhauses in Bayreuth am Dienstagnachmittag verlassen. Auch das Strafverfahren gegen ihn wird wieder aufgenommen. Der 56-Jährige sei unverzüglich aus der Unterbringung in der Bayreuther Psychiatrie zu entlassen, so die Anordnung des Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg .

„Eine schallende Ohrfeige“ sei das für die drei Richter, die beide Wiederaufnahmegesuche jüngst abgelehnt hatten, urteilte Mollaths Verteidiger, Rechtsanwalt Gerhard Strate, gegenüber der taz. Diese Richter werden nun explizit nicht mehr für das neue Verfahren zuständig sein.

Sieben Jahre, sieben Monate und sechs Tage saß der Oldtimer-Restaurator aus Nürnberg gegen seinen Willen in der Psychiatrie. Seine Unterstützer haben auf der Webseite www.gustl-for-help.de einen Zähler eingerichtet. Genau 2717 „gestohlene Lebenstage“ listen sie dort auf. Ebenso den Betrag, den Mollaths Unterbringung in geschlossenen Anstalten den Steuerzahler kostete. Die Unterstützer kommen auf bis dato 760.904 Euro. Wie sich dieser Betrag errechnet, geht aus der Seite nicht hervor.

Mollaths Odyssee scheint damit vorerst beendet. Dass es nun so schnell ging, überraschte selbst seinen Verteidiger. „Das Oberlandesgericht in Nürnberg hat nicht mal unsere Beschwerdebegründung abgewartet“, sagte Strate der taz. Das sei sehr ungewöhnlich.

Mit der Entlassung aus der Anstalt hat Mollath einen Zwischensieg erreicht, in einem lange währenden Kampf, der zuletzt immer mehr Menschen in Bayern und anderswo gegen die vermeintlich unfähige und bornierte bayerische Justiz aufbrachte – und der zunächst als ein Streit zwischen Eheleuten begann.

Das entscheidende Urteil fiel am 8. August 2006. Eine Kammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth stellte damals fest, dass Mollath seine Exfrau angegriffen und gewaltsam festgehalten habe. Außerdem, so das Urteil, habe er an Fahrzeugen verschiedener Personen die Reifen aufgestochen. Obwohl das Gericht ihn für den Täter hielt, wurde er freigesprochen. Der Grund für seine angebliche Schuldunfähigkeit: Mollath habe in „mehreren Bereichen ein paranoides Gedankensystem entwickelt“ und leide unter einer „wahnhaft psychischen Störung“.

Grund für diese Annahme waren Mollaths Schilderungen eines in seinen Augen groß angelegten Schwarzgeldskandals, im Zuge dessen sich mehrere Angestellte der Hypovereinsbank (HVB) der Anstiftung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung und der Geldwäsche im Namen ihrer Kunden strafbar gemacht haben sollen. Darunter auch Mollaths Exfrau, die in einer Nürnberger Filiale der Bank als Vermögensberaterin tätig war.

Der Streit mit seiner Frau war eskaliert, als Mollath im Jahr 2002 damit begann, Briefe an die Bankvorstände zu schreiben, mit der Bitte, sie mögen das illegale Treiben seiner Frau unterbinden. Mollaths Frau ging vor Gericht und zog dort die geistige Gesundheit ihres Mannes in Zweifel – mit den bekannten Folgen. Der Rosenkrieg wird nun in einem weiteren Verfahren neu aufgerollt.

Seit im November ein interner Revisionsbericht der HVB an die Öffentlichkeit geriet, ist klar: Mollaths Behauptungen von einem korrupten Bankensystem sind keine Wahnvorstellungen, sondern wahr. Mittlerweile ermittelt die bayerische Steuerfahndung. Erste Fälle von Steuernachzahlungen sind bereits abgeschlossen. Dass es dazu nicht früher kam, ist der Tatsache geschuldet, dass Mollath zu keiner Zeit ernst genommen wurde, weder vom Justizministerium noch von den Richtern noch von den Finanzbehörden. Immer lauter wurde deshalb die Kritik an der bayerischen Staatsregierung und an der Unnachgiebigkeit der bayerischen Justizministerin Beate Merk (CSU), die sich in der Causa Mollath lange auf die Unabhängigkeit der Gerichte berief.

Dass Mollath nun freikommt, ist auch ein Glücksfall für die CSU, die sich bei der Landtagswahl am 15. September anschickt, die absolute Mehrheit in Bayern zu erringen. Mit Mollaths Freilassung ist wenige Wochen vor der Wahl ein großes Ärgernis aus dem Weg geräumt. Dementsprechend zufrieden äußerte sich die Justizministerin am Dienstag: „Mein Ziel, das ich mit dem Wiederaufnahmeantrag und der sofortigen Beschwerde verfolgt habe, den Fall neu aufzurollen, ist erreicht“, schrieb Merk in einer Stellungnahme des Ministeriums. Auch Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) begrüßte die Anordnung. Er selbst habe in den letzten Monaten mehrfach die Frage gestellt, ob die Unterbringung Mollaths angesichts der vielen Zweifel und offenen Fragen zu Recht bestehe.

Wo Gustl Mollath nach seiner Freilassung unterkommt, war bei Redaktionsschluss unklar. Das Haus, das er vor seiner Festnahme bewohnt hatte, wurde inzwischen versteigert. Er werde jedoch von Freunden vom Bezirkskrankenhaus abgeholt, sagte sein Anwalt der taz. Sicher sei: „Mollath wird nicht gleich wieder Ferraris reparieren.“