: Fastenbrechen gegen die Islamisten
TUNESIEN Opposition fordert die Absetzung der von Islamisten geführten Regierung. Verfassunggebende Versammlung stellt vorerst Arbeit ein
DEMONSTRANTIN IN TUNIS
VON EDITH KRESTA
BERLIN taz | Es ist heiß in Tunis. Und es ist Ramadan. In den vergangenen Tagen haben sich tunesische Oppositionelle jeden Abend zum Fastenbrechen auf dem Platz vor der Verfassunggebenden Versammlung in Bardo, einem Stadtviertel der Hauptstadt, getroffen. In der Nacht zum Mittwoch steigt die Zahl der Demonstranten nach Angaben der Polizei auf 40.000. Ihre Forderung: Die islamistische Regierung um Ministerpräsident Ali Larajedh soll zurücktreten.
„Dies ist eine Versammlung für die Hoffnung auf eine zweite Republik, in der die Ziele der Revolution verwirklicht werden“, sagte Mohsen Marzouk von der neu gegründeten säkularen Partei Nida Tounes laut afp.
Zweieinhalb Jahre nach Beginn der tunesischen Revolution vom Januar 2011, die zum Sturz des langjährigen Herrschers Zine al-Abidine Ben Ali führte, sind viele der damaligen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zerstoben. Stattdessen wächst der Zorn auf die regierende Koalition, die aus zwei säkularen Parteien und der dominierenden islamistischen Ennahda besteht.
Es ist ein breites Spektrum der Opposition – von den Links- bis zu den Mitte-rechts-Parteien, unterstützt von der einflussreichen Gewerkschaft UGTT –, das die Proteste organisiert. Dazu gehören auch die offiziell auf 30.000 geschätzten Frauen, die sich am Sonntag zum Protest gegen die Islamisierung des Landes versammelten.
Nachdem die zerstrittene Verfassunggebende Versammlung – nach zweijährigen vergeblichen Versuchen, ein neues Grundgesetz für Tunesien zu formulieren – am Dienstag ihre Tätigkeit auf unbestimmte Zeit unterbrochen hat, erklärt sich der Fraktionschef der islamistischen Ennadha-Partei jetzt zu Zugeständnissen bereit: „Wir sind offen für einen Dialog, aber es darf keine Vorbedingungen geben“, sagte Sahbi Atig am Mittwoch. Die Ennahda sei offen für eine Regierung der nationalen Einheit, heißt es in Tunis. Sie wolle aber nicht auf den Posten des Ministerpräsidenten verzichten.
„Ganz Tunesien wartet auf Neuwahlen“, sagt eine Demonstrantin gegenüber der taz. „Die Islamisten haben abgewirtschaftet. Sie haben Ansehen und Zulauf verloren. Das Land zerfällt unter ihrer Regierung in Chaos, die Korruption blüht, wirtschaftlich passiert nichts“, fasst sie den Unmut vieler Tunesier zusammen. Obwohl die regierenden Islamisten Neuwahlen für den 17. Dezember versprochen haben: Niemand glaubt ihnen mehr. Auslöser der jüngsten Protestwelle war das Attentat auf den Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi am 25. Juli, nachdem bereits am 6. Februar der Regierungskritiker Chokri Belaïd ermordet wurde. Viele Tunesier machen die Regierung für die Morde, hinter denen radikale Salafisten vermutet werden, mitverantwortlich. Sie werfen den Politikern Doppelzüngigkeit bei der Verfolgung von Straftaten vor: Während der Terror der Salafisten heruntergespielt oder gar nicht verfolgt würde, wanderten polizeikritische Rapper oder regierungskritische junge Frauen der Femen-Bewegung sofort ins Gefängnis.
Oppositionelle reagierten erfreut auf die Ankündigung der Verfassunggebenden Versammlung, ihre Arbeit einzustellen: „Das ist ein Sieg für die Straße“, sagte die Abgeordnete Maya Jribi von der Republikanischen Partei, „das ist ein erster Schritt zur Befriedung.“ Aber er reiche nicht aus, die Versammlung müsse ganz aufgelöst werden.
Vergangene Woche hatten sich auch Anhänger der Islamisten zu Kundgebungen für die Regierung versammelt. „Da haben sie in klimatisierten Bussen und für ein paar Dinar Leute aus dem Landesinneren herangekarrt“, sagte eine junge Frau auf der Straße über die Aktion.
Anders als in Ägypten gilt es in Tunesien als unwahrscheinlich, dass sich das Militär in den Konflikt zwischen der säkularen Opposition und den regierenden Islamisten einmischt. Zwar hatten die Generäle beim Sturz Ben Alis letztlich die Forderungen der Straße durchgesetzt und den Diktator zum Aufgeben gezwungen. Aber das Militär ist in Tunis nicht so stark mit der Politik und der Wirtschaft verfilzt wie in Ägypten und verfolgt traditionell keine machtpolitischen Eigeninteressen. Das machte die Armee – zumindest bislang – zum Beschützer der gesellschaftlichen Mehrheit ohne eigenes politisches Gewicht.