Merck will Konkurrent Schering übernehmen

Pharmakonzern wehrt sich gegen feindliche Übernahme. Analysten bezweifeln, dass sich beide Firmen ergänzen

BERLIN taz ■ Einige Anleger waren offenbar frühzeitig eingeweiht: Schon Ende vergangener Woche zog der Aktienkurs der Schering AG um über 10 Prozent an. Gerüchte über eine Großfusion im Pharmasektor machten die Runde.

Gestern nun legte der Darmstädter Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck KGaA offiziell ein Übernahmeangebot für Deutschlands drittgrößten Arzneimittelhersteller vor. Der Schering-Kurs schoss danach noch mal um 25 Prozent auf 82,60 Euro in die Höhe. Mercks Angebot für Schering liegt derzeit nur bei 77 Euro pro Aktie – das wären insgesamt 14,6 Milliarden Euro. Scherings Konzernchef Hubertus Erlen ist dies zu wenig; er wertete die Avance als feindliche Übernahme und lehnte sie ab.

Mit der Fusion würde der größte deutsche Pharmakonzern entstehen, der gleichzeitig in der internationalen Topliga mitspielen könnte. Unter den Topten der internationalen Pharmakonzerne ist kein Unternehmen vertreten, das weniger als 20 Milliarden Dollar im Jahr umsetzt. Davon sind die beiden deutschen Konzerne weit entfernt. Schering setzte mit knapp 25.000 Mitarbeitern im vergangenen Jahr 5,3 Milliarden Euro um; Merck kam mit 29.000 Beschäftigten auf 5,9 Milliarden Euro Umsatz.

Die Übernahme des Berliner Arzneiherstellers durch den Mischkonzern Merck ist aber noch mit vielen Fragezeichen versehen. Als größtes Problem sehen Analysten die wenigen Überschneidungen, die es zwischen den Geschäftsfeldern der beiden Konzern gibt. Merck hat im vergangenen Jahr gerade mal 454 Millionen Euro seines Gesamtumsatzes im Pharmabereich erwirtschaftet, einen Großteil davon mit Nachahmer-Medikamenten („Generika“). Merck verdient sein Geld vor allem mit Spezialchemie wie Flüssigkristallen für LCD-Fernseher, Pigmenten und Produkten zur Laborausstattung.

Schering hingegen wurde in den letzten Jahren zum reinen Pharmakonzern umgebaut. Der Umsatzrenner heißt Betaferon, ein Medikament gegen Multiple Sklerose. Eine weitere Umsatzstütze sind Verhütungsmittel, darunter vor allem die Anti-Baby-Pille. „Es gibt kaum Synergien zwischen den Unternehmen. Die operativen Schnittstellen sind gering, auch im Vertrieb wird es kaum Einsparmöglichkeiten geben“, sagt Pharma-Analyst Alexander Groschke von der Landesbank Rheinland Pfalz. „Durch die Fusion würde ein Gemischtwarenladen entstehen.“

Immerhin würde sich Merck Zugang zum wichtigen US-Markt verschaffen, weil das Unternehmen dort bisher keinen eigenen Vertrieb hat. Insgesamt hätten die fusionierten Unternehmen dann zwar 9.000 Vertriebsmitarbeiter, doch würden sie sich kaum ergänzen, da sie sehr unterschiedliche Produkte anbieten. Für Matthias Steger, Analyst bei Kepler-Equities, gibt es deshalb vor allem einen Grund für die Fusion: „Die Motivation liegt in der Größe. Merck und Schering haben zusammen mehr Power auf dem Markt.“

Auch Axel Werwatz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht mögliche Vorteile der Fusion: „Die Unternehmen können ihr Know-how bündeln und so Wettbewerbsvorteile erzielen.“ Außerdem seien Einsparungen durch gemeinsame Forschungen möglich. Schering investiert 19 Prozent seines Umsatzes in die Entwicklung. Während Schering ein normaler DAX-Aktienkonzern ist, gehört Merck noch immer zu 73 Prozent 130 Familienmitgliedern. Die Mercks stören sich nicht daran, dass die Fusion mit Schering zu einer noch größeren Produktvielfalt führen würde – sie könnte eine Chance sein, die Zukunft des Familienimperiums zu sichern.

TARIK AHMIA