BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Mit sozialistischen Grüßen

Dumm an der DDR: Man wusste nie, wann Post aus dem befreundeten Ausland ankommt – und ob überhaupt

Zwanzig Jahre ist es her, dass ich auf der Leipziger Buchmesse, die morgen beginnt, mein Unwesen getrieben habe. Gerade fertig mit dem Spanischstudium, wurde mir die verantwortungsvolle Aufgabe zuteil, kubanische Gesandte vom Flughafen Berlin-Schönefeld abzuholen.

So lernte ich Marta Mosquera aus Santiago de Cuba kennen. Ich wusste über sie nur, dass sie Grafikerin, Buchgestalterin und Mitglied des staatlichen Schriftsteller- und Künstlerverbandes war und nie zuvor in ihrem Leben die sozialistische Insel verlassen hatte. Ich erwartete ein verhuschtes Mäuschen, das es unter die Fittiche zu nehmen galt.

Weit gefehlt. Als die Passagiere des Fluges aus Kuba die Empfangshalle betraten, tauchte eine hübsche Frau um die vierzig mit einem Kleid in karibisch bunten Farben auf, die jede sozialistische Mutti der DDR in den Schatten stellte. Sie bewegte sich mit einem Selbstbewusstsein, als sei sie auf allen Flughäfen dieser Welt zu Hause. Die Fahrt nach Leipzig war sehr unterhaltsam. Wir redeten über Entbehrungen und Männer – zum Glück verstand der Fahrer kein Spanisch.

Tagsüber knüpfte Marta Mosquera auf der Buchmesse deutsch-kubanische Buchbande. Abends zog ich mit ihr durch Kneipen und Bars. Und ich erfüllte ihr den Wunsch, sich ein Bild der jungen Kunst in der DDR zu machen. Ich ging mit ihr zu Judy Lybke, der Anfang der 80er-Jahre die Galerie Eigen + Art gegründet hatte und sich mit nicht angepasster ostdeutscher Kunst gegen die Bevormundung in der DDR zur Wehr setzte.

Der Sachse und die Kubanerin verstanden sich dank meiner Übersetzungshilfe auf Anhieb prächtig. Nach einigen Flaschen Rotwein waren wir uns einig. Wir wollten einen Ausstellungsaustausch zwischen Kuba und der DDR veranstalten. Marta Mosquera versprach, über den kubanischen Künstlerverband offizielle Einladungen zu besorgen.

Obwohl Judy Lybke und ich beide nicht in der Partei waren, waren wir zuversichtlich, mit einer offiziellen Einladung nach Kuba fliegen zu dürfen. Zumal es zu dieser Zeit Direktflüge nach Kuba gab, sodass der Zwischenstopp in Kanada zum Auftanken als Fluchtmöglichkeit wegfiel. Warum also nicht.

Die Zeit verging und wir warteten ungeduldig auf Post aus Kuba. Monat für Monat verstrich, ohne dass die versprochenen Einladungen kamen. Internet gab es noch nicht, telefonieren war so gut wie unmöglich, also schickte ich schließlich ein Telegramm. Prompt telegrafierte Marta Mosquera zurück, dass sie die Einladungen gleich nach ihrer Rückkehr aus Leipzig auf den Weg gebracht habe.

Zwischen den Zeilen war zu lesen, dass man nie wisse, was wirklich ankommt. Sie versprach, das Ganze noch einmal zu schicken. Wieder warteten wir vergeblich. Judy Lybke und ich ertränkten unseren Frust über das künstlerische Unverständnis der sozialistischen Bruderregierungen in Rotwein. Nie wieder hörten wir von Marta Mosquera. Bis es mit der DDR zu Ende ging. Einen Tag nach dem Mauerfall ging ich zur Polizei, um mir einen Stempel für die einmalige Ausreise zu holen. Als ich nach Hause kam, um schnell ein paar Sachen zu packen, fand ich im Briefkasten einen Brief. Er sah alt aus und war, genau, aus Kuba. Die Staatssicherheit muss ihn zurückgehalten haben.

Ich empfand es als eine bodenlose Frechheit, mich in dem Moment in ein sozialistisches Land reisen zu lassen, in dem mein sozialistisches Heimatland zu meiner großen Freude den Geist aufgab. Mir stand endlich die Welt offen. Dorthin wollte ich, nicht nach Kuba.

Nachdem ich mich halbwegs in Westberlin eingelebt hatte, schrieb ich Marta Mosquera eine Postkarte mit meiner neuen Adresse. Wenige Monate später schrieb sie zurück, dass sie im Rahmen eines Künstlerprogrammes nach Westberlin reisen dürfe. Dumm nur, dass sie den Flug selbst bezahlen musste und über keine Devisen verfügte. Ich musste an das verhuschte Mäuschen denken, das ich damals glaubte vom Flughafen abzuholen. Leider hatte ich nicht genug Westgeld, um ihr den Flug spendieren zu können. Armes Mäuschen, verrückte Welt.

Fragen zu Kuba? kolumne@taz Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE