Vergangenheitskünstler

Sex, Schmerz, Glück: Andreas Mands Roman „Paul und die Beatmaschine“

von FRANK SCHÄFER

Andreas Mand ist ein literarischer Puzzlespieler. Er hat seine Romane stets in kleine Abschnitte und Szenen zerlegt. In seinem neuen Roman „Paul und die Beatmaschine“ zelebriert er die Methode der literarischen Fragmentierung noch rigider. Mand lässt Lücken in der erzählerischen Mikro- und Makrostruktur. „Schreiben durch Streichen“, sagt das bekannte fiktionale Spiegelbild des Autors, Paul Schade, an einer Stelle und meint damit auch diesen Roman.

Pauls Ankunft in Stockholm, wo sich seine neue Freundin Suzanna für eine Weile aufhält, liest sich so: „Tag des geraden Autokennzeichens. Funktionierende Rolltreppen und Aufzüge. Schöne kleine Wohnung, Parkett und Kamin, Müllschlucker, Eckfenster. Überall Fotos von ihr. ‚Willst du schlafen?‘ ‚I slept quite well on the train.‘ Sie schickte die Kinder nach draußen.“

Mands Sätze sind Stenogramme. Er streicht, bis nur noch die richtigen, wichtigen Worte stehen bleiben. Und er perforiert die erzählerische Linie und schneidet die Überleitungen, Phrasen und Notbehelfe heraus. Die erzählte Zeit wird in dieser Prosa zerhäckselt wie im Stroboskopgewitter. Das erfordert einen wachen Leser, der die gerissenen Plotfäden zusammenknotet, die Leerstellen füllt, der unausgesprochene Zusammenhänge kombiniert und auch imaginiert – der Leser als Mittäter.

„Paul und die Beatmaschine“ nimmt Bezug auf die anderen „Paul-Schade-Bänder“, wie Mand sie nennt, auf „Das rote Schiff“ und „Kleinstadthelden“, und spielt auf die Ereignisse darin an. Was diese und auch Mands wundervolle Grover-Romane auszeichnet, trifft hier erneut zu: Bei aller formalen Ambitioniertheit ist seine Prosa nicht nur lesbar, sie hat einen eigenen elegischen, leicht nostalgischen Sound. Auch Schade bezeichnet sich einmal als „Vergangenheitskünstler“.

Man liest diesen neuen Roman mit Spannung, obwohl das Erzählte extrem unspektakulär ist. Paul, der Schriftsteller und Rock ’n’ Roller, erlebt die Nachwendezeit in Berlin. Seine Liebe zu Sabine ist routiniert, erste literarische Erfolge stellen sich ein. Ein ebenso ehrenvolles wie erniedrigendes Aufenthaltsstipendium in Stuttgart verursacht einen weiteren Schlenker in seinem Lebenslauf. Er verliebt sich in die Mitstipendiatin Suzanna, eine eigenwillige Jugoslawin und zweifache Mutter, und trennt sich von Sabine. Das Leben mit Suzanna ist sexuell und auch sonst ausgefüllt. Paul schreibt nur noch jeden zweiten Tag und kümmert sich um die Kinder, aber schon bald geraten er und Suzanna aneinander, und alles geht seinen unguten Gang.

Auffällig ist einmal mehr die autobiografische Sättigung der Hauptfigur. Mand lässt Paul sogar seinen damaligen und – nach Stippvisiten bei Ammann und Residenz – jetzigen Hausverlag Maro besuchen. Fiktion und historische Realität gehen ineinander über, oder die Fiktion wird bisweilen ganz drangegeben.

Man kann nur hoffen, dass Suzanna ausgedacht ist oder gute Nehmerqualitäten hat, sonst steht demnächst wohl wieder eine einstweilige Verfügung an. Die titelgebende „Beatmaschine“ ist die Großmetapher des Romans und berührt ein zentrales Thema aller „Paul-Schade-Bänder“: die Verwandlung von Musik in einen anderen künstlerischen Aggregatzustand. An den Bedingungen und Wechselwirkungen einer solchen Transformation laboriert Paul auch hier – und sein Autor nicht minder. Überdies heißt so eine Installation Suzannas, an der Paul mitwirkt und wegen der sie sich mehr als einmal in den Haaren liegen. In dem Kunstwerk spiegelt sich dann auch ihre dreifaltige Liebesbeziehung: Beat ist der Sex, der Schmerz und das Glück. Es gibt eben nur die Kombipackung! Manchmal überwiegt aber der Schmerz. Da hilft es nicht einmal, die Kinder nach draußen zu schicken.

Andreas Mand: „Paul und die Beatmaschine“. Maro Verlag, Augsburg 2006, 189 Seiten, 12 €