Nackte Gewalt in Friedrichshain

Seit einigen Monaten kommt es in dem Bezirk gehäuft zu Übergriffen. Die Polizei spricht von Jugendbanden als Tätern, die Antifa von Neonazis. Ein Bürgerbündnis will dagegen vorgehen

von JOHANNES RADKE

Eine Gruppe von etwa 15 schwarz gekleideten Vermummten stürmt um eine Straßenecke und prügelt ohne ersichtlichen Grund mit Teleskopschlagstöcken und Flaschen auf zwei junge Männer ein. So schnell sie gekommen sind, so schnell sind die Schläger auch wieder weg. Die Opfer werden mit Schnittverletzungen und Prellungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei fahndet – bleibt jedoch erfolglos.

Solche und ähnliche Szenen haben sich im linken Szene-Bezirk Friedrichshain in den vergangenen Monaten häufiger abgespielt. Mindestens zehn Übergriffe zählte die Antifa Friedrichshain seit Anfang des Jahres. Offizielle Zahlen gibt es nicht.

Die Polizei spricht lieber von „Gewalt unter Jugendbanden“. Ihr lägen bisher keine Hinweise auf einen politischen Hintergrund der Straftaten vor, erklärt Polizeisprecher Uwe Kocellik. Antifa-Initiativen gehen jedoch davon aus, dass es sich bei den Tätern um Neonazis aus dem Umfeld der verbotenen Kameradschaft Tor handelt, die sich seit einiger Zeit selbst als „Autonome Nationalisten“ bezeichnen. „Das Muster der Angriffe ist das gleiche wie bei Überfällen von Neonazis auf linke Veranstaltungen und Infostände im vergangenen Jahr in Lichtenberg“, sagt ein Sprecher der linken Gruppe Kritik & Praxis (K & P). Das offensichtlich gut geplante Vorgehen der Schläger spreche gegen einen Fall von normaler Jugendgewalt. Zudem könne es kein Zufall sein, dass die Opfer der Übergriffe stets vom Aussehen her als links einzuordnende Menschen seien.

Mehrere linke Gruppen rufen an diesem Wochenende deswegen gleich zu zwei Veranstaltungen in Friedrichshain auf. Die erste, von der K & P angemeldete Demonstration beginnt heute Abend am Boxhagener Platz und führt bis in die Weitlingstraße im benachbarten Lichtenberg. Die Weitlingstraße galt bereits Anfang der 1990er-Jahre als Hochburg von Rechtsextremisten. Nachdem einige Jahre Ruhe eingekehrt war, gibt es dort nun wieder mindestens zwei Wohngemeinschaften mit stadtbekannten Neonazis. Im Aufruf der K & P ist von „Sammlungs- und Rückzugsort organisierter Faschisten“ die Rede.

Von einer Zunahme rechter Gewalttäter in Friedrichshain spricht auch die Opferberatungsstelle ReachOut. Sie hat vor kurzem ihre Statistik rechter Übergriffe von 2005 veröffentlicht. Dort hält Friedrichshain mit 25 Fällen den ersten Platz. ReachOut-Mitarbeiterin Helga Seyb ist daher froh, dass sich nun ein breites Bündnis gegen die nächtliche Gewalt gefunden hat. „Die beiden Demonstrationen allein können jedoch nur begleitend zu weiteren Aktionen gegen rechte Gewalt im Bezirk sein“, sagt sie. Um eine Kontinuität der Arbeit gegen die Überfälle aufzubauen, setzt sie sowohl auf die lokalen Antifa-Gruppen als auch auf ein Bürgerbündnis.

Das Bündnis gibt es seit zwei Monaten. Beteiligt ist eine bunte Mischung von lokalen Initiativen, Vereinen, Migrantengruppen und Einzelpersonen. Sogar Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei) war zum ersten Treffen erschienen. Mit dabei ist auch Claus Foerster, vom Projekt Community and Commitment der Arbeiterwohlfahrt: „Das größte Problem ist, dass die meisten Friedrichshainer ihren Kiez für weltoffen und tolerant halten. Wir müssen jetzt erst mal ein Problembewusstsein für die rechte Gewalt schaffen.“ Mit Flugblättern und Plakaten will das Bündnis in den kommenden Wochen die Bewohner des Bezirks für das Thema sensibilisieren. Es gehe vor allem darum, dass bei Übergriffen niemand wegschaut, sondern sofort die Polizei gerufen wird.