KOMMENTAR VON HEIDE OESTREICH
: Arbeit umverteilen

Die meisten Frauen würden gern mehr arbeiten, drei Viertel der Männer weniger

In Berlin gibt es heute in einigen Geschäften 23-Prozent-Rabatte für Frauen: Schließlich verdienen sie ja auch 23 Prozent weniger als Männer. Mit dem „Equal Pay Day“ wurde diese Zahl trotz ihrer komplexen Ursachen tatsächlich skandalisiert. Das wurde höchste Zeit.

Die 23 Prozent setzen sich zum Teil aus diskriminierenden Tarifverträgen und Chefs zusammen. Dagegen müsste die Politik längst per Gesetz vorgehen: Instrumente zum Gehalts- und Tarifvergleich werden im Moment vom Familienministerium wie ein Spielzeug angeboten. Sie müssen stattdessen verbindlich werden. Der Rest der Lohndifferenz aber besteht angeblich in „freiwilligen“ Entscheidungen der Frauen. Es ist der Mix aus Berufswahl, Berufsunterbrechung und Halbtagsjobs. Aber wie freiwillig sind diese Entscheidungen wirklich? Wo es keine Vorbilder gibt, bleibt die Berufswahl begrenzt. Wenn die Ganztagskita fehlt und die Mutter in einem schlecht bezahlten „Frauenberuf“ steckt, steckt eben auch die Mutter zurück, wenn die Kinder kommen. Freiwillig?

Die meisten Frauen mit Teilzeitjobs würden gern mehr arbeiten, zeigen Studien immer wieder. Dazu passt gut, dass drei Viertel aller Männer ebenso gern weniger arbeiten möchten. Sie könnten dann durchaus ihren Anteil an der Familienarbeit übernehmen. Niemand sollte auf einem 20-Stunden-Job dümpeln müssen. Aber warum nicht eine Weile 30 Stunden arbeiten, solange die Kinder um vier Uhr abgeholt werden müssen?

Leider reagiert die Politik nicht auf diesen verbreiteten Wunsch. Die Union etwa tut so, als sei das mütterliche Halbtagsmodell mit überarbeitetem familienentfremdetem Vater völlig in Ordnung. Sie zementiert es mit dem Ehegattensplitting. Und die CSU legt sogar noch ein Betreuungstaschengeld obendrauf. Sie könnte gleich einen Antrag auf Grundsicherung im Alter dazulegen.

Eine solche Politik ist unverantwortlich. Frauen sind heute auch rechtlich nicht mehr über ihre Ehemänner abgesichert, sobald eine Scheidung ansteht. Sie müssen ihre eigene Rente verdienen. Und deshalb muss die Regierung auch dafür sorgen, dass sie arbeiten können. Und zwar angemessen viel. In guten Jobs. Ohne Lohndiskriminierung. Und das heißt nicht nur Mindestlöhne für typische Frauenbranchen, wie sie jetzt endlich in der Pflege kommen. Und auch nicht nur mehr Kinderbetreuung. Sondern auch, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Familienverantwortung in Unternehmen aufsteigen können. Und das können sie nur, wenn die „große Teilzeit“ ein echtes Arbeitszeitmodell für alle wird.