: Nicht mal die Böcke schmecken streng
VIELFALT Die britischen Herdwick-Schafe haben ein besonders mild schmeckendes Fleisch. Der Hobby-Schäfer Ralf Reinhardt hat die Rasse zur Zucht nach Deutschland gebracht. Die Tiere gelten als gelassen und kommen auch mit widrigen Bedingungen zurecht
Das Lamm spielte eine zentrale Rolle in der Ostersymbolik.
■ Gestalt gewordene Unschuld: Als Opfertier schlechthin steht das Lamm im Alten Testament für die Wehrlosigkeit gegen wilde Tiere.
■ Christus wird analog zum Opfertier als Lamm bezeichnet. Aus dem Jesuslamm entstand der Brauch, am Auferstehungstag ein geweihtes Lamm zu essen.
■ Konkurrenz durch den Osterhasen bekam das Lamm ab Mitte des 16. Jahrhunderts. Ergänzend zur Keule der Jungschafe tauchte das Lamm auch als Gebäck auf. JOE
VON THOMAS JOERDENS
Ein namenloses Schäfchen ist auf der vorösterlichen „Hoope Farm“ zwischen Bremen und Bremerhaven der Star und sorgt für Erleichterung. Denn schon seit Anfang März sucht der Schäfer Ralf Reinhardt den Strohboden in seinem Winterstall nach Lämmern ab. Seine Herdwick-Mutterschafe haben Euter ausgebildet und sind trächtig. Nur lammen wollten sie nicht.
Vorige Woche kam endlich mit Verspätung das erste Lamm auf die Welt. Der schwarze Winzling mit weißen Härchen im Gesicht hat nach vier Tagen das Format eines Dackels auf Stelzenbeinen. Unsicher stakst das Baby zwischen den Schafen umher und schreit nach seiner Mama. Die antwortet blökend aus einer der Lammbuchten.
Ralf Reinhardt steht in Gummistiefeln, Arbeitshose und einer karierten Baumwolljacke im selbst gezimmerten Stall und blickt lächelnd auf das Minilamm. Dem 43-jährigen Bartträger erscheint es zwar plausibel, dass seine Schafe nach dem harten Winter erst jetzt lammen, aber ein bisschen unruhig war er trotzdem geworden.
Die Herdwick-Schafe stammen aus dem „Lake District“, einem bergigen Naturschutzgebiet im Nordwesten Englands. Sie suchen auf bis zu 1.000 Meter hohen Bergen nach Futter, stellen keine hohen Ansprüche, halten tiefe Temperaturen genauso aus wie Dauerregen. Im Vergleich dazu sind die Lebensverhältnisse für die 30 Herdwicks in Hoope paradiesisch.
Ralf Reinhardt hält seit fast 20 Jahren aus Liebhaberei Schafe. Der Tierfreund begann mit Moorschnucken und wechselte Ende der 90er Jahre zu Scottish Blackfaces. Dann sah er ein Foto mit einem Herdwick und wusste: „Die will ich auch haben.“ Vor drei Jahren schenkte sich Ralf Reinhardt zum 40. Geburtstag 20 dieser Schafe.
Reinhardt war der erste Herdwick-Züchter in Deutschland. Mittlerweile schätzt er den Bestand auf 100 Mutterschafe, die sich auf sieben Halter verteilen. Alle angefixt durch Reinhardts Idee: eine alte Tierrasse auch außerhalb der Schäfernation Großbritannien etablieren und gute Zuchtschafe verkaufen. „Sehen die nicht knuddelig aus mit ihren weißen Teddygesichtern“, fragt er. Ohne die Antwort abzuwarten schwärmt er vom gelassenen Charakter der Tiere.
Und vom Fleisch, das auch die Briten in den höchsten Tönen loben. Zu Recht. Die Herdwicks sind mager und schmecken mild. Selbst dem Fleisch von zweijährigen Böcken fehlt die typische Strenge. Keulen, Gulasch oder Braten von Herdwicks müssen nicht tagelang in Milch eingelegt werden.
Reinhardt empfiehlt zehn bis zwölf Tage abgehangenes Fleisch und eine schonende Zubereitung. Er schätzt nicht nur an Ostern eine Lammkeule mit Ofenkartoffeln und Speckbohnen oder eine kalte Herdwick-Frikadelle auf die Stulle.
Als Osterlämmer für die Röhre eignen sich die Herdwicks nicht. Jedenfalls nicht diejenigen, die bei Reinhardt gerade das Laufen lernen. Berufsschäfer schicken den Bock viel früher zu den Mutterschafen, so dass diese im Dezember lammen. Zu Ostern wiegen diese Jungtiere 35 bis 40 Kilo und haben das Idealgewicht für den Markt.
Reinhardt, der die Schäferei als Hobby betreibt, hält die Herdwicks auf traditionelle Weise. Die Lämmer sollen im Frühjahr „ins frische Gras“ fallen. Da die Herdwicks langsamer wachsen als ihre hiesigen Artgenossen, bringt er nach neun Monaten zehn bis 15 Lämmer für den Eigenverbrauch zum Schlachter. Die übrigen Tiere verkauft er oder behält sie für die Nachzucht.
Seinen Lebensunterhalt verdient Reinhardt als Schiffsmakler. Ansonsten ähnelt sein Alltag dem eines Schäfers mit viel Arbeit und wenig Urlaub. Vor und nach dem Büro tauscht er den Anzug gegen Arbeitsklamotten und besucht seine Tiere. An sieben Tagen in der Woche. Ralf Reinhardt liebt den Umgang mit den Schafen. „Das sind für mich keine Rasenmäher“, sagt er. Wenn ihn die Tiere wiederkäuend, friedlich anglotzen und signalisieren: „Alles ist gut“, dann geht Reinhardt das Herz auf und er freut sich mit seinen Schafen.