: Wofür lebt Peter?
Rückwärts immer, vorwärts nimmer: Die Band Fehlfarben spielt in Berlin und bewältigt ihren Hit „Es geht voran“ sowie andere Mühlsteine
VON ANDREAS BECKER
Das weibliche Publikum der Fehlfarben scheint sich definitiv besser zu halten als das männliche. Eine Menge hübscher Frauen im mittleren Alter hängen im Foyer der Berliner Volksbühne rum und trinken Bier aus Plastikbechern. Die Typen wirken insgesamt kaputter, fetter, verbrauchter. Die dicken Männer stehen am Merchandisingstand, kaufen aber nicht die lustigen Kaffeebecher mit 26-Jahre-Fehlfarben-Geburtstagsblätterkranz, sondern CDs von ernsthaften deutschen Bands. Generationenübergreifend ist das Projekt Fehlfarben auch nicht. Kaum jemand unter dreißig zu sehen.
Schade, dass keiner mal sagt: Peter Hein ist ein feiges Arschloch. Schließlich hat er uns damals während des Abiturs mit diesen Neuen-Welle-Idioten allein gelassen. Statt zu den Fehlfarben musste man zu den cool posenden Ideal ins Konzert gehen oder in der Disko auf „Ich möchte ein Eisbär sein“ tanzen. Dabei war man doch so schön linksradikal. Aus dem Lautsprecherwagen bei der Demo schallte es jedenfalls: „Es geht voran“. Das Stück werden die Fehlfarben von heute später sogar spielen – ist ja nun mal ihr Hit – in einer reichlich verhackstückten Version. Peter Hein sagt danach erleichtert: So, das war unser Mühlstein. Ihm scheint die eigene Popwerdung immer noch mehr Leid als Freude zu bereiten. Damals war es natürlich ziemlich klasse, Kopierarbeiter bei Xerox zu bleiben, anstatt Star zu werden. Allen anderen beim Kopieren (der eigenen Ideen) zu helfen, hatte etwas von einer großen Überlegenheit.
Das Berliner Konzert beginnt mit der Vorband Winson (Minihit: „Wovon lebt eigentlich Peter?“), dessen Frontmann das Publikum voll zu sabbern scheint. „Entschuldigt, dass ich euch angespuckt habe“, sagt er. Wahrscheinlich haben sich die ersten Punks auch immer bei den Spießern entschuldigt.
Schon steht man wieder am Tresen, sieht Frank Spilker von den Sternen. Im Saal der immer noch sozialistisch überheizten Volksbühne spielt plötzlich Doc Schoko. Entwickeln auch nicht viel mehr Kraft als Winson. Man merkt sich die Zeile: Ich bin fertig, du bist fertig, alle sind fertig.
Als dann die Fehlfarben beginnen, ist man selber ein wenig fertig. Fühlt sich dann aber ganz gut an, die alten Typen (plus Schlagzeugerin Saskia von Klitzing) zu hören. Peter Hein trägt ein weißes, cowboyhaft bedrucktes Hemd. Dazu schon fast glamourhafte weiße Boots. Seine Bewegungen sind wie immer ein wenig eckig. Man merkt, dass Hein nicht easy jemand berühren kann. Spätestens als er die Gastsänger Spilker, Peter Lohmeyer oder Gudrun Gut auf der Bühne begrüßt.
Leider fehlt Françoise Cactus, die auf der neuen Fehlfarben-Platte eine wunderbare Version des Telefonsongs „(Geh) du ran du ran“ hat. Jochen Distelmeyer, Sven Regener oder Dirk von Lowtzow sind auch nicht da. Dafür krabbelt der gute, alte wahre Heino, Kneipenwirt in Kreuzberg, als Ansager an der Bühnenkante rum. Zweimal kommen die Fehlfarben zu Zugaben zurück. Wirken einigermaßen entspannt, ohne Mühlsteine um den Hals. Fast so, als wären sie eine ganz normale Band.