: Hier gibt es etwas Diskredit
ORTSTERMIN Berliner Lobbyisten haben ihre neuen Lieblingsfeinde entdeckt: Politische Aktivisten nerven und werden immer mächtiger. Wie beschädigt man sie am besten?
VON MARTIN KAUL
Klingelangelong, es ist so schön ruhig und kühl hier. Schweres rotes Tuch bespannt die breiten Stühle, die beige Stoffserviette, fein gerollt auf kleinen Tellerchen. Wuchtige Vorhänge und ein Piano gehören zur Ausstattung, und etliche Lexikabände stehen in den großbürgerlichen Schrankwänden. Zu Tische liegen feine Häppchen bereit im „Literatensalon“ im 1. Obergeschoss des Restaurants Tucher, hier an einer der ersten Adressen der Republik, direkt vis-à-vis dem Brandenburger Tor in Berlin.
Hier lässt sich heute wieder etwas lernen. Nämlich: Wie bitte diskreditiert man Demonstranten? Das ist eine zunehmend wichtigere Frage unter Berliner Lobbyisten, seit Dirk Kurbjuweit im Oktober 2010 im Spiegel den sogenannten Wutbürger entdeckt hat.
Der Wutbürger ist ein gefährliches Kerlchen. Nicht weil er wütend ist, sondern weil er – respektive sie – Macht hat. Er demonstriert vor sich hin und bekämpft irgendwelche Projekte. Unternehmer hassen ihn, Politiker fürchten ihn, aber Pressefuzzis mögen ihn ganz gern. Und so ist in den letzten Jahren eine neue Fingerübung der lobbyistischen Handwerkskunst entstanden, die der trotzkistischen Idee des Entrismus folgt: Gehe hinein in den Feind. Definiere deine Feinde selbst.
An diesem Dienstagmorgen beginnt das schon mal richtig. Es geht um Flughafengegner in Frankfurt und sowieso schlechthin um den „sogenannten Bürgerprotest“, wie die Veranstalter sagen. Früher hat man Bürgerprotest im Zweifel einfach abgeräumt. Heute muss man solche Sachen diskursiv anlegen. Lass uns drüber reden.
Die Stiftung Marktwirtschaft hat eingeladen und präsentiert einen Forscher der Uni Gießen. Er hat eine „Studie“ dabei. Sie besteht zwar nur aus 21 Seiten, ist methodisch fragwürdig und nicht repräsentativ, aber was wichtig ist: Die Botschaft sitzt. Heute geht es um Protest-Rentner und Egoisten-Aktivisten. Der Gegenstand der Kritik ist allerdings ersetzbar. Wichtig nur: Sie muss auf Soziologendeutsch daherkommen. Und es sollte schon etwas mit Demokratie zu tun haben. Am besten gibt es dominierende Minderheiten, unterdrückte Mehrheiten, und selbst gehört man, als Lobbyist, derzeit eher zur unterdrückten Mehrheit. Das ist Demokratiedefizit.
Wenn die Herbert-Quandt-Stiftung zum Beispiel – das ist ein Steuersparhobby der Milliardärin Susanne Klatten, die als reichste Frau Deutschlands gilt – eine Konferenz zu Bürgerbeteiligung oder Netzpolitik abhält, dann lädt sie sich auch gerne den Infratest-Chef Richard Hilmer ein. Seine Leute machen dann vorher eine halbseidene Umfrage zu irgendeinem passenden Thema. Die wird dann groß vorgestellt – und dann kommt man so langsam miteinander ins Gespräch. Eigentlich geht es ja darum: ins Gespräch kommen.
Heute ist das so ähnlich: Erst redet also der Wissenschaftler, dann redet der Typ von der Stiftung, dann wieder der Wissenschaftler und so fort. Wichtig: Beide sagen im Wesentlichen das Gleiche. Genau so muss man es machen.
Es gibt heute allerdings Abzüge in der Haltungsnote: Denn es stellt sich heraus, dass der Herr Prof. Dr. Eike-Christian Hornig von der Uni Gießen die Sache gar nicht an seiner Uni Gießen gemacht hat, sondern auf eigene Rechnung, so als Nebenerwerb. An der Uni sei das so kompliziert und bürokratisch, sagt er. Und er hat ja nicht Unrecht: So privat klappt das immer besser mit der Auftragsthese, oder, wie das dann hier heißt, mit der „Ausgangshypothese“. Diese habe sich, sagt der Herr Juniorprofessor, „letztlich bestätigt“.
Warum wundert uns das nicht? Wir sitzen im großbürgerlichen Literatensalon. Es geht um die Gefahr, die vom Bürger ausgeht. Nein danke, keine Häppchen.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 9