: Reisen ins Pingpongland
Erst spielte er für Guangdong Baomashi, in diesem Sommer tritt Timo Boll für Zhejiang Hongxiang an. Der Weltranglistenzweite will China erobern. So beliebt wie Beckham ist der Deutsche dort bereits
VON SEBASTIAN KRASS
Timo Bolls Kumpel wird wohl nicht noch einmal mitkommen, zumindest nicht zur Partie beim Armeesportklub. Im vergangenen Juli war Tischtennisprofi Boll schon einmal für drei Auftritte in der Super League nach China gereist, zusammen mit einem Bekannten. Boll spielte für Guangdong Baomashi, einmal trat er mit seiner Mannschaft beim Armeesportverein an, auf einem Sperrgelände. „Da haben sie meinen Kumpel kurz festgenommen, weil er allein joggen war“, erzählt Boll.
Es ist eine fremde Welt, in die sich der beste deutsche Tischtennisspieler auch in diesem Sommer begeben wird. Zwischen dem 1. Juli und dem 18. August tritt er zehnmal in der Superliga an, diesmal für Zhejiang Hongxiang aus der Stadt Hangzhou. Tischtennis ist Volkssport in China, und ein Weltranglistenzweiter wie Boll ist dort ein populärer Mann. „Mein Co-Trainer hat mir letztens erzählt, dass ich bei einer Wahl zum bestaussehenden Sportler unter die Top 10 gekommen bin“, sagt Boll. Ein bisschen Staunen ist herauszuhören: „So Leute wie Beckham waren meine Konkurrenten.“
In Deutschland ist Boll zwar auch ein bekannter Sportler, er kann gut von dem Geld leben, das er hier verdient. Aber außerhalb der Tischtennisszene würde ihn kaum jemand als Star bezeichnen. „In China bin ich deutlich beliebter.“ Vom Engagement in der Superliga will er in dreierlei Hinsicht profitieren. Erstens ist es gut honoriert, zweitens hofft er auf neue spielerische Impulse. „Es ist gut, ein paar Wochen am Stück gegen Spieler mit chinesischem System zu spielen.“ Ein Ansatz, den auch sein Vereinstrainer in Deutschland unterstützt: „Wenn Timo 2008 Olympiasieger werden will, muss er öfter gegen die sehr guten Chinesen spielen“, sagt Helmut Hampl vom TTV Gönnern. Bereits vor der laufenden Saison hat Boll mit Gönnern einen Vertrag ausgehandelt, der die Zahl seiner Einsätze begrenzt – vor allem, damit er mehr Zeit und Kraft für Auftritte gegen die Weltbesten hat. So wird der 25-Jährige auch am Sonntag beim Bundesligaspiel gegen Bremen fehlen, weil er im japanischen Super Circuit antritt (siehe Kasten).
Wozu Boll fähig ist, hat er im vergangenen Oktober bewiesen, als er beim Weltcup in Lüttich nacheinander die Nummern eins, drei und vier der Weltrangliste besiegte – eine bislang einmalige Leistung. Da alle aus China kamen, ist er dort seitdem noch bekannter. Daraus resultiert der dritte erhoffte Vorteil: Boll will sich auf dem riesigen chinesischen Markt ergiebiger vermarkten. „Bei den Verhandlungen haben wir darauf bestanden, eine eigene Werbefläche auf dem Trikot zu haben.“ Die Chinesen akzeptierten. Nun muss sich nur noch ein Sponsor finden.
Wie viele Hoffnungen Boll in seine Auftritte in China setzt, zeigt eine zweite Klausel im Vertrag: „Ich habe mir einen Chinesischlehrer reinschreiben lassen.“ Boll plant, China zum zweiten Standbein seiner Karriere zu machen. Der Schwede Jan-Ove Waldner, weltweit der populärste Spieler, hat es ihm vorgemacht und eine Sportbar in Peking eröffnet. Sie heißt „W“ wie Waldner. Das Interesse der Chinesen an europäischen Spielern ist zurzeit groß: Auch Bolls Nationalmannschaftskollege Christian Süß (Borussia Düsseldorf) verhandelt mit Vereinen aus der Superliga.
Der Austausch läuft vielleicht bald nicht mehr nur einseitig, von Europa ins Großreich. Einige Bundesligisten überlegen, ob sie für die kommende Saison einen der Top-Chinesen verpflichten, die bisher vom chinesischen Verband nur selten nach Europa geschickt wurden.
Wie groß das Abenteuer für Boll diesen Sommer wird, ist noch nicht abzusehen. Zuletzt schienen sich einige Vereine übernommen zu haben, um auf einer Spielerauktion an die besten Spieler heranzukommen. Ein Verein zahlte für den Weltranglistenvierten Ma Lin angeblich umgerechnet über 500.000 Euro. In der vergangenen Saison hatten die Gesamtetats der besten Mannschaften kaum höher gelegen. Woher das Geld kommen soll, ist vielen Vereinen noch nicht klar.
Dass diese Superliga nach fremden Regeln funktioniert, zeigt sich auch an den Zuschauerzahlen. „Wir haben da mal vor 3.000 oder 5.000 Zuschauern gespielt. Aber einmal auch nur vor 200“, erzählt Boll. Das war bei dem ominösen Armeesportverein. In der Kaserne durften nur Soldaten zuschauen. Und der Kumpel, der wieder frei war.