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Archiv-Artikel

Die Provinz als aufregender Ort

KUNST Die Galerie Mitte widmet der im Mai gestorbenen Bremer Künstlerin Christine Prinz eine Ausstellung. Dabei wird die große Vielseitigkeit der Künstlerin deutlich

„Häufig war sie auf Rügen und hat dort am Horizont immer die westlichen Schiffe beobachtet. Gerne wäre sie mitgefahren, um die Kunstmuseen in London oder Paris zu besuchen“

Ele Hermel

VON RADEK KROLCZYK

Im Eingangsbereich der Galerie Mitte läuft auf einem kleinen Monitor ein Video als Loop: eine Gruppe Künstlerinnen und Künstler versuchen in einer Ausstellung ein großes Bild an die Wand zu hängen. Sie schieben es ein wenig nach rechts, dann etwas zurück nach links, heben es etwas höher, messen schließlich mit einer Wasserwaage nach. Irgendwann merkt man, dass wohl die Künstlerin selbst im Off steht und die Helferinnen und Helfer dirigiert. Die große Fotoarbeit zeigt eine leicht verfremdete Wümmelandschaft. Wasser und Wiesen leuchten grell. Plötzlich wird die vertraute öde Provinz zu einem fremden, aufregenden Ort. Es handelt sich um eine Arbeit der kürzlich verstorbenen Künstlerin Christine Prinz. Die Malerin Sabine Wewer hat ihr dieses Video gewidmet. Es fügt sich gut in die Ausstellung zur Erinnerung an Prinz. Denn beide Male ist die Künstlerin anwesend und abwesend zugleich.

Ele Hermel, die die Ausstellung kuratiert hat, lernte Christine Prinz 1988 kennen und ist mit ihrem Werk gut vertraut. Aus dem riesigen Fundus den Prinz’ Lebensgefährte und Künstler Claus Haensel aufbewahrt, hat sie Arbeiten aus ihrem mehr als vierzigjährigen Schaffen ausgewählt. Auffallend ist dabei die Vielfalt an Techniken, derer sich die 1944 in Radebeul bei Dresden geborene Prinz bediente: Zeichnung, Malerei, Fotografien, Collagen und Übermalungen sind in der Ausstellung zu sehen. Daneben sogar noch eine Skulptur aus Karton. „Roter Akt auf gelbem Grund“ ist der Titel der Arbeit von 1994. Ein roter, nackter Frauenkörper legt sich lasziv über eine gelbe Fläche. Prinz hat ihr Motiv auf Pappe gemalt. Durch mehrere dahinter geklebte Schichten Wellkarton wird die Malerei zur Skulptur. Und dies ist die zweite Auffälligkeit in der kleinen Erinnerungsschau. Über alle Jahre und Genres hindurch beschäftigte sich Prinz mit dem weiblichen Portrait und Akt – vornehmlich dem eigenen.

Während ihrer Zeit an der Hochschule für bildende Künste in Dresden in den 60er-Jahren lernte sie die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper bei Gottfried Bommes. In der Ausstellung hängt eine Schädelstudie, die sie für den Zeichenunterricht angefertigt hat. Die Schädel wirken kubisch, fast ein wenig futuristisch. Stellte sich der sozialistische Realismus so den Körper vor? Das Blatt ist von ihrem Lehrer abgezeichnet und mit „2+“ bewertet. Trotzdem orientierte sich Prinz lieber an den Expressionisten.

Ihre frühen gemalten und gezeichneten Frauenfiguren erinnern in ihrer Verletzbarkeit und in ihren Verrenkungen an Egon Schiele. Ihre Figuren sind fehlbar, ohne jedwedes Körperideal. Der sozialistische Realismus jedenfalls war nicht ihre Sache. In kaum einer Hinsicht. „Sie hat unter der Enge und den Reisebeschränkungen der DDR sehr gelitten“, erzählt Ele Hermel. „Häufig war sie auf Rügen und hat dort am Horizont immer die westlichen Schiffe beobachtet. Gerne wäre sie mitgefahren, um die Kunstmuseen in London oder Paris zu besuchen.“ 1984 stellte Prinz erfolgreich einen Ausreiseantrag und landete in Bremen.

Im Kubo im Ostertor, in dem sich auch die Galerie Mitte befindet, traf sie sich regelmäßig mit anderen zum Aktzeichnen. Seit Anfang des Jahrtausends beschäftigte sie sich vermehrt mit Fotografie. In dem Zusammenhang entstanden ihre an der Kunstgeschichte orientierten Selbstakte. So inszenierte sie sich als Jan Vermeers Maria Magdalena, mit einem Handtuch auf dem Kopf und einem Wasserglas. Ihre Lieblingsmalerin allerdings war Paula Modersohn-Becker. Deren Arbeiten sie allerdings bereits in ihrer Geburtsstadt Dresden kennengelernt hatte. Prinz entdeckte ihre Selbstakte als Versuche, sich des eigenen Bildes zu ermächtigen. Vor einem Spiegel hat sie sich fotografiert. Der Blitz funkelt über die Fotografie. Zwischen den Brüsten und im Haar trägt sie Ringelblumen, um ihren Hals hängt eine orangene Perlenkette. So hob sie die Malerei Modersohn-Beckers auf den aktuellen Stand der Produktionsmittel.

■ bis 31. August, Galerie Mitte, Kubo