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Archiv-Artikel

Den Leuten ihre Bühne

Obdachlose, Alkoholiker, Ikea-Käufer: Wenn Ulf Aminde Kunst macht, erkundet er immer Milieus. Auf der Berlin Biennale lässt er Straßenmusiker zu einem Orchester werden. Eine Begegnung kurz davor

Lieber das Leben der anderen als das eigene: „Ich werde zum Ethnologen, lerne soziale Grammatiken kennen“

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Randgruppen! Er ist doch kein Spezialist für Randgruppen, bloß weil in seinen Videos bisher hauptsächlich Obdachlose, Alkoholiker, Straßenmusiker und Punks die Akteure sind. „Das sind keine Randgruppen. Solche Menschen sind überall in der Stadt“, sagt Ulf Aminde. „Berlin ist mehr als Kastanienallee und Mitte. Wie in einem Gürtel findet man diese Menschen in allen Bezirken rund um die Innenstadt.“

Jetzt sitzen wir aber erst mal in Mitte, in einer Bäckerei auf der Auguststraße. Zwei Häuser weiter läuft sein Beitrag zur Berlin Biennale in einem kleinen Keller – Vorsicht, Kopf einziehen beim Hinuntersteigen! Laut, bedrängend und angriffslustig schallt die Installation herauf – ein dicht geschichteter Cluster aus Straßenmusiken, der aus dem engen Raum heraus auf die Straße platzen will. In der Bäckerei aber, in die Aminde andere seiner Filme mitgebracht hat, um sie mir auf dem Computer zu zeigen, stellt er den Ton erst mal leise, um niemanden zu stören.

Auf dem Bildschirm sind die Fußballspieler der Installation „Täter und Opfer“ zu sehen, die vor kurzem in der Galerie Nord ausgestellt war. Über ein Jahr lang hat Aminde sie fast jeden Samstagmorgen bei ihrem Spiel auf einem Platz in Friedrichshain getroffen, ausgerüstet mit der Kamera. Die gefühlsgeladene Musik aus der Bäckerei legt sich für einen Moment über die Bilder und überraschenderweise passt ihr Pathos zu den Sätzen, die gerade als Untertitel – auf Englisch, weil die Arbeit demnächst in Kuba gezeigt wird – eingeblendet werden. Einer erklärt, warum es so wichtig ist, pünktlich zum Fußballspiel zu erscheinen. Man wundert sich über diese Disziplin unter Männern, die schon am frühen Morgen Bier trinken, päckchenweise Zigaretten rauchen und sich gegenseitig von den Sauftouren der letzten Nacht berichten. Man ahnt sehr schnell, dass es sonst in ihrem Leben nicht mehr viele Verbindlichkeiten gibt. Aber gerade dieser Gegensatz interessiert Ulf Aminde: „Wenn sie spielen, spielen sie sich frei. Auf einem Feld, auf dem andere Regeln gelten als draußen.“ Der zweite Teil der Arbeit besteht aus schnell montierten Torschüssen, Dribblings und geglückten Pässen. Da wird für Aminde eine Kraft und eine Würde sichtbar, die dem Klischee „von den armen Schweinen“ widerspricht, als die die Männer wohl sonst angesehen werden.

Für seinen Biennale-Beitrag „Das Leben ist kein Wunschkonzert“ hat er Straßenmusiker gebeten, einen einzigen Ton zu spielen. Manchen sieht man an, wie seltsam sie das fanden, andere dagegen werfen sich mit Elan in die Aufführung ihres einen Tons. Jeder für sich ist auf seinem Bildschirm allein, so verloren und verfroren, wie die Straßenmusiker eben auf U-Bahnhöfen, den Brücken zur Museumsinsel oder in Einkaufsstraßen wirken. Und doch verbinden sie sich in der Wand aus zwölf Monitoren zu einem Chor, der mit einem lang gezogenen Klagelaut in den Himmel über der Stadt zu steigen scheint. Es ist erstaunlich, wie schnell die Aufführung trotz ihrer Nüchternheit ergriffen macht.

Genau das gelang Aminde auch mit der Arbeit „Ohne festen Wohnsitz“, die 2004, als er noch Meisterschüler der Universität der Künste war, während der MoMa-Ausstellung in der Nationalgalerie entstand. Die besuchte der Künstler zusammen mit drei Wohnungslosen, deren Gespräche vor den Bildern er mitschnitt und zum Hörstück montierte. Zuerst hatte er noch gedacht, auf diesem Weg zu einem sarkastischen Kommentar über Ausschlussverfahren des Kunstbetriebs zu kommen. Fast zu seiner eigenen Überraschung hat er dann aber ein Zeugnis von der Sehnsucht nach Teilhabe, nach Berührung durch den Kanon der Malerei erhalten. Denn seine drei Protagonisten begannen vor den Bildern zu schwärmen. Seitdem sucht er dieses überraschende Moment der Berührung eigentlich immer wieder.

Aminde erzählt lieber vom Leben der anderen als von seinem eigenen. „Ich werde fast zum Ethnologen, muss deren soziale Grammatiken kennen lernen, ihre Regeln einhalten“, beschreibt er seine Begegnungen. Seine Projekte gleichen einer Folge von Ausflügen in Parallelwelten, denen er sich aber durch die eigene Biografie auch nahe fühlt. Weiter will er da aber nicht drüber reden. Jedenfalls habe er, Jahrgang 1969, ja erst ziemlich spät Kunst studiert. Davor spielte er übrigens auch mal Theater – und das kommt ihm wohl in so einem Gespräch noch immer zugute. Denn er spielt auch mir so ein bisschen vor, wie das ist, wenn seine Akteure ihn beschimpfen oder die Nachbarn die Polizei gerufen haben, weil die Punks, mit denen er gearbeitet hat, zu laut wurden.

Bislang passt die Übersicht über seine Projekte noch auf drei Bogen Zeitungspapier – den Katalog zu seiner Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg letzten Sommer. Dazu, dass er trotzdem als einer der wenigen Berliner Künstler zur Biennale eingeladen wurde, sagt er: „Ich genieße das.“ Und hofft, dass sich die Teilnahme gut macht im Strickmuster seiner Künstleridentität. Schließlich hat er zwei kleine Töchter und will auch nicht ewig von Stipendien leben.

Ulf Amindes Arbeiten haben eine große Nähe zum Gefängnis- und Obdachlosentheater. Der Unterschied ist aber: Aminde will nicht mit fertigen Stücken und Texten arbeiten, sondern eher etwas finden, was er „die eigene Bühne der Leute“ nennt. Das hilft ihm, „den Unglauben an die Fiktion von Gesellschaft zu formulieren, die die Gesellschaft von sich selber hat“. Dafür nutzt er auch, was einer Bühneneinrichtung so ähnlich sieht, zum Beispiel die Möbelausstellung bei Ikea, die er in seinem letzten Projekt als Setting einsetzte – „Da muss man einfach Theater spielen.“ Deswegen bat er genau darum zufällig anwesende Kunden, bei Ikea in Antwerpen. Übrigens ein Beispiel dafür, dass ihn auch der Mittelstand interessiert. Je mehr Ulf Aminde über vergangene und zukünftige Projekte erzählt, desto mehr erscheint jede einzelne Arbeit als Teil eines weit angelegten gesellschaftlichen Porträts, von dem erst ein kleiner Teil zu sehen ist.

Gagosian Gallery, Keller, Auguststraße 50a, bis 28. Mai, Di.–So. 12–19 Uhr, Do. 12–21 Uhr