: Zwischen Ladenlokal und Partykeller
KUNSTLEIDENSCHAFT Auch nach der erfolgreichen Besetzung des Gängeviertels steht Hamburg als Kunststandort nicht sonderlich gut da. Aber es gibt hier eben auch junge Enthusiasten, die den Kampf nicht aufgeben wollen. Ein Besuch bei Melike Bilir und Benedikt Mick
VON ANNA PRIZKAU
An den weißgekachelten Wänden hängen großflächige Arbeiten. Sie stammen von Hector Kirschtal, einem jungen Künstler, der 2008 die Hamburger Kunsthochschule absolviert hat. Inmitten von Kirschtals verspielter und schillernder Malerei steht Melike Bilir und führt ein unaufgeregtes Telefonat. Mit ihrer schwarzen Haremshose und einem glänzend bedruckten Body sieht sie aus wie das Klischee einer jungen Galeristin. Doch so einfach ist es nicht.
Mit 21 kam Bilir aus Göttingen, wo sie Kunstgeschichte studiert hatte, nach Hamburg. Sie versuchte sich als Bassgitarristin und studierte Kommunikationsdesign, nebenbei jobbte sie in einem Kino in der Innenstadt. Als der Gebäudekomplex Ende 2007 einem geplanten Abriss entgegen sah, witterte Bilir die Chance, einen eigenen Off-Space-Raum zu schaffen – in den leer stehenden Ladenräumen am Eingang zum Kino, die nicht mehr kommerziell genutzt werden durften. „Es war perfekt, ich durfte die drei leeren Ladenräume für eineinhalb Jahre kostenfrei mit Kunst bespielen.“
Weil zu jeder Ausstellungseröffnung ein roter Teppich ausgerollt wurde, der die drei Läden symbolisch miteinander verband, taufte Bilir ihre Räumlichkeiten „Walk of Fame“. Es folgten über 20 parallel laufende Ausstellungen. Aber: „Eine richtige Galerie war das noch nicht. Ich wusste damals selbst nicht so genau wohin ich damit wollte.“
Erst als der „Walk of Fame“ weichen musste, merkte Bilir, wie sehr ihr die ganze Arbeit am Herzen lag. 2009 verlegte sie den „Walk of Fame“ in das Herz des Stadtteils St. Georg, aber auch dieses Mietverhältnis war begrenzt. Seit diesem Jahr nun wirkt Bilir am Klosterwall, am Rand der Hamburger City, und führt eine Galerie unter ihrem eigenen Namen.
„Einfacher ist es nicht geworden“, sagt die inzwischen 28-Jährige. Wie die meisten Galeristen rechnet Bilir damit, erst in einigen Jahren Geld zu verdienen. Da der Verkauf die Kosten bei weitem nicht decken kann, arbeitet sie nebenbei freiberuflich: Bilir entwirft Infografiken für die Tagesschau, fährt als Fahrradkurier quer durch Hamburg und schreibt für Onlineportale über Lifestyle-Themen.
Hamburg als Kunststandort? „Im Vergleich zu Berlin“, sagt Bilir, „ist die Kunstszene hier wesentlich schwieriger.“ Zwar habe die Kunsthochschule einen guten Ruf, aber gleich nach dem Diplom wandern die meisten Künstler ab. So bleibe das Kunstgeschehen an der Elbe doch „sehr übersichtlich“.
Bilir will in Hamburg bleiben. Als Unterstützung hat sie sich den Künstler Oliver Ross in die Galerie geholt. Er ist das Bindeglied zur Szene. Die Zusammenarbeit gehöre sozusagen zum Konzept, sagt Bilir: Er berate sie und schreibe Ausstellungstexte.
Schon wieder klingelt ein Telefon, in Bilirs Gesicht zeichnet sich leichter Stress ab. Zurzeit organisiert sie ihren Beitrag zu dem Galerienrundgang rund um die Hamburger Altstadt: Am 9. April ist Eröffnung, zusammen mit elf weiteren Galerien und Ausstellungsräumen.
Nur wenige Kilometer entfernt ist eine weitere andere unkonventionelle Art der Kunstförderung beheimatet. Zwischen Ikea-Möbeln verstecken sich Holzplastiken und Skulpturen, über dem durchgesessenen Sofa hängen Gemälde, Fotografien und Kunstdrucke. Das obligatorische Billy-Regal beherbergt dutzende Bildbände und Kataloge, und noch auf dem Fernseher thront eine winzige Tonfigur.
Die meisten Werke, die sich im Wohnzimmer von Benedikt Mick platzieren sind grotesk, roh und ironisch. Mick, 26 und sein Freund Tilman Kristen, 27, fördern seit zwei Jahren Kunst in Hamburg. „Früher hielten wir uns oft in einem eher konventionellen Umfeld auf“, sagt Kristen, der Mick aus dem Jurastudium kennt. Sie hätten Sehnsucht nach einer „anderen, freieren Welt“ gehabt – und diese in der Kunst entdeckt.
Mick und Kristen wollten sich engagieren. Mit Hilfe von Elena Winkel, ehemals Sprecherin der örtlichen Kunsthochschule, schrieben die Studenten ein Atelierstipendium aus. Die Räumlichkeiten waren vorhanden: Kristens alter Partykeller. Kristen und Mick machten daraus zwei separate Ateliers und trommelten ein Kuratorium zusammen. Das suchte aus 70 Bewerbungen zwei Stipendiaten aus.
„Wir haben einen tollen Einblick erhalten, viele Künstler kennengelernt, gute Freunde gewonnen und einen geschulteren Blick für Kunst erlangt“, sagt Mick, der mittlerweile in einer Rechtsabteilung arbeitet.
Das Abwandern der Kreativen spüren auch die beiden Kunstförderer: „Natürlich ist die Dichte und Bedeutung der Galerien in der Hauptstadt deutlich stärker als in Hamburg“, sagt Kristen, der derzeit sein Referendariat in der Hamburger Kulturbehörde macht. Aber auch Berlin werde irgendwann übersättigt sein. Sammler und Kunstinteressierte müssten begreifen, dass „schon Kleinigkeiten“ Künstler umstimmen könnten, zu bleiben.