„Ein erklärungsbedürftiges Produkt“

Das Daumenkino droht vergessen zu werden. Deshalb gibt es dieses Wochenende in Hannover ein Festival mit Wettbewerb für diese Art der Bilderbücher. Mitglied der Jury ist der Daumenkino-Verleger Holger Schack

taz: Herr Schack, Sie sind Verleger für Daumenkinos. Das scheint eine Sache für Nostalgiker zu sein, die ihre Kindheit nochmal aufleben lassen wollen. Gibt es irgend etwas am Daumenkino, das auch nach vorne verweist?

Holger Schack: In der Tat gibt es einen Retro-Trend, der sich auf Dinge bezieht, die zu schade sind, um unterzugehen. Das Daumenkino ist nun aber auch eine Grundlage für alles Interaktive, weil Sie das Medium nur zum Blühen bringen, indem Sie selber mit dem Daumen blättern. Im Hinblick auf das Interaktive ist es aktuell.

Dabei ist das ein sehr flüchtiges Vergnügen.

Das ist sehr schnell ausgelesen, das stimmt natürlich. Wenn Sie aber kleine Kinder betrachten – die beschäftigen sich zum Teil stundenlang mit dem wirklichen Begreifen von einer gut gemachten Story im Daumenkino.

Und worin liegt der Reiz für Erwachsene?

Für Erwachsene ist das Daumenkino ein sehr schönes Geschenk. Es hat etwas sehr haptisches, zugleich bedient es die Sammelleidenschaften, die es bei Mini-Büchern gibt.

Was macht ein Daumenkino zu einem guten Daumenkino?

Es ist sehr wichtig, dass Sie sich als Zeichner nicht nur an einer Bewegung berauschen, sondern dass Sie in den vier bis fünf Sekunden einen Witz oder eine überraschende Wendung unterbringen. Es ist eine Kurzform, vielleicht kann man das vergleichen mit einer SMS: Sie müssen, um auf den Punkt zu kommen, sehr schnell und sehr trocken sein. Außerdem gibt es den Kunstbereich, und auch dort ist es so, dass im Daumenkino spannende Dinge passieren: Der Daumenkino-Künstler Volker Gerling beispielsweise macht fotorealistische Daumenkinos, indem er Leute vor eine Kamera setzt, die 36 Bilder macht. Daraus werden dann sehr intime, wunderschöne Portraits.

In Frankreich ist das Daumenkino sehr viel populärer als in Deutschland. Woran liegt das?

In den romanischen Ländern ist der Comic weiter als bei uns – das ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Im Wieder-Kommen sind aber die fotorealistischen Daumenkinos – hier liegt ja der Ursprung des Daumenkinos als Vorläufer des Films um 1860. Auch im Kommen ist es, einzelne Bewegungsabläufe zu analysieren: Kürzlich haben wir da was gemacht für den Tischtennistrainer-Verband.

In welcher durchschnittlichen Auflage produzieren Sie Ihre Daumenkinos?

Unsere besseren Stücke haben 2.500 bis 3.000 Auflage. Das ist aber schon viel für den deutschen Markt. Unser Problem ist, bei den Buchhändlern Akzeptanz zu finden – es ist ein sehr erklärungsbedürftiges Produkt. Sie müssen die Daumenkinos im Kassenbereich auslegen, damit die Leute die Erfahrung machen können mit diesem kurzen Witz. Insofern sind wir mit dem kommerziellen Vertrieb in Deutschland sicher am Anfang.

Interview: Klaus Irler

Das Daumenkino-Festival dauert noch bis einschließlich Sonntag. Die zum Wettbewerb eingereichten Werke sind von 11 bis 18 Uhr im Gig / Lindener Freizeit in Hannover zu sehen. Gewonnen hat den Wettbewerb die Braunschweigerin Stefanie Bokeloh