: Kongo braucht echte Alternativen
Der jetzt beschlossene EU-Militäreinsatz löst die Probleme der Demokratisierung des Kongo nicht. Die stecken viel tiefer in der Gesellschaft – weitab von Hauptstadt und UNO
Keine Sorge: Der Bundeswehreinsatz in der Demokratischen Republik Kongo wird ein Spaziergang. Kein deutscher Soldat wird während der viermonatigen EU-Militärintervention voraussichtlich auch nur einen Schuss abgeben, wenn er überhaupt den Fuß auf kongolesischen Boden setzen sollte. Die Mission wird ein Erfolg. Und das bedeutet, dass sie an den Problemen, die sie lösen soll, komplett vorbeigeht.
Je ereignisloser die Wahlen im Kongo verlaufen, desto gründlicher werden sie an ihrer Funktion als Abbild der Stimmung des Landes vorbeigegangen sein. Um das Verhindern von Machtkämpfen zwischen Warlords, wie ursprünglich angedacht, wird es beim EU-Einsatz nicht gehen. Mit gutem Grund: Es wird keine Machtkämpfe geben – jedenfalls nicht zu den Wahlen und nicht in Kinshasa.
Der Grund dafür liegt im Scheitern des bisherigen Friedensprozesses. Normalerweise bedeutet ein Friedensprozess, dass Bürgerkriegsparteien die Waffen niederlegen und ihre Armeen auflösen. Im Kongo ist das nicht geschehen. Die alten Armeen aus der Zeit des Krieges 1998–2003 bestehen weiter. Die neue Armee FARDC, unter EU-Supervision per Verschmelzung früherer feindlicher Einheiten entstanden, umfasst nur einen Bruchteil der mehreren hunderttausend Bewaffneten des Landes. Selbst dieser Bruchteil bekriegt sich untereinander im Osten des Landes. Kongo hat keine Armee, sondern viele bewaffnete Gruppen, inner- und außerhalb der offiziellen Strukturen.
Für die Wahlen bedeutet das: Entweder es gibt richtige Wahlen, und dann hat jede Partei ihren eigenen bewaffneten Arm und die Wahl wird zum Krieg – oder die Warlords verzichten um des lieben Friedens willen auf Krieg und damit auch auf Wettbewerb per Wahlkampf. Derzeit zeichnet sich Letzteres ab: Präsident Joseph Kabila tritt als überparteilicher „Kandidat des gesamten Volkes“ an, und seine früheren Kriegsgegner gehen auf Tauchstation.
Mit dieser Entwicklung entfällt das Szenario von Wirren in Kinshasa, das den EU-Interventionsüberlegungen zugrunde liegt. Für Kinshasa besteht ein anderes Risiko: Die im Friedensprozess marginalisierte zivile Opposition könnte in den von ihr kontrollierten Slums zum Aufstand blasen. Dann wäre die EU-Truppe geradezu gezwungen, zwecks „Absicherung der Wahlen“ gegen sie vorzugehen – als Helfershelfer der Warlords.
Das wirkliche Risiko für Kongos Wahl liegt allerdings anderswo: in der Verteilung der Parlamentssitze und Provinzregierungen. In jedem Distrikt des riesigen Landes bestehen komplexe, schwer durchschaubare Rivalitäten – zwischen ökonomischen Konkurrenten, zwischen ethnischen Gruppen, zwischen verfeindeten Politikern. So bedeutet die Parlamentswahl, in der auf dem flachen Land je ein Abgeordneter pro Verwaltungseinheit gewählt wird, landesweit eine Einladung zum Kampf.
Entscheidungen fallen darin nicht erst im Wahlkampf, sondern bei den längst laufenden „Implantierungen“ der Parteien im ganzen Land. Deren Fähnchen werden über Dörfern gehisst, Distriktchefs oder traditionelle Führer bekennen Farbe. Die Bevölkerung beobachtet sehr aufmerksam, welches Fähnchen wo hängt, wer plötzlich zu Geld und Autos kommt, und interpretiert die Machtverhältnisse entsprechend.
Genau hier müsste eine durchdachte internationale Strategie zur Absicherung der Wahlen ansetzen: in der Mitte der Gesellschaft, weit weg von Hauptstadt und UNO. Sie müsste die jeweiligen lokalen Machthaber unter Beobachtung stellen und den Prozess der Erzwingung von Loyalität durch Mächtige brechen. Dieser Prozess läuft allgemein per Gewährung oder Verweigerung von Überlebensmöglichkeiten: Landnutzungsrechte, Zugang zum Gesundheitswesen, offizielle Handelsgenehmigungen. Internationale Kräfte könnten Alternativen zu bestehenden Abhängigkeitsstrukturen schaffen: mit gezielten Maßnahmen zur Schaffung von Konkurrenz in der lokalen Ökonomie, oder mit der neutralen Gewährleistung sozialer Dienstleistungen, um diesen den Ruch der Belohnung für Treue zu nehmen. Natürlich ist das nicht mehr in wenigen Monaten machbar. Doch die Wahlen vom Juni und die darauffolgende Regierungsbildung im Kongo sind der Beginn eines Prozesses, nicht sein Abschluss.
Wer meint, Kongos Demokratie entstünde in Kinshasa und sei mit der Bildung einer neuen Zentralregierung erledigt, hat Kongos neue Verfassung nicht gelesen. Kinshasa ist für Kongos Entwicklung untypisch. Die acht Millionen zählende Hauptstadt produziert fast nichts, aber sie konsumiert 85 Prozent des Staatshaushaltes. Sie ist strukturell auf Zuweisungen aus dem Rest des Landes angewiesen, in Form von Warenimporten und vor allem von Geldtransfers aus den Rohstoffgebieten. In Kinshasa obsiegt, wer aus dem Rest des Kongo am meisten absaugt.
Kongos neue Verfassung macht eine Veränderung möglich. Sie institutionalisiert eine weitgehende Dezentralisierung. Aus 11 Provinzen werden binnen drei Jahren 26, und die jeweiligen Provinzregierungen behalten 40 Prozent ihrer Einnahmen selbst. Das ist ein immenser Fortschritt in Richtung einer Schwächung der bisherigen Herrschaftselite, deren Macht auf ihrer Kontrolle der Geld- und Warenflüsse zwischen Provinzen und Hauptstadt gründet.
Es gibt aber bisher auf internationaler Ebene nicht einmal den Ansatz von Überlegungen, wie man funktionierende lokale Verwaltungsapparate aufbauen könnte. Faktisch sind die Provinzen heute zumeist primitive Diktaturen, die dem Ego von Personen dienen, die es in Kinshasa zu nichts gebracht haben. Wenn das so bleibt, dürfte der Kongo im Rahmen der Dezentralisierung in unzählige Privatreiche zerfallen. Und wenn die Weltbankstrategie aufgeht, wonach Großinvestitionen im Bergbausektor Kongo aufbauen sollen, werden einige dieser Privatreiche unter der Fuchtel eines einzigen Unternehmens stehen.
Die Dezentralisierung bedeutet allerdings auch, dass von den gegenwärtigen Machthabern jeder auf seine Kosten kommen kann. Wenn für jeden ein paar Ecken des Landes übrig bleiben, könnten Kongos Wahlen eine Zeit des Waffenstillstands und der friedlichen Sicherung von Pfründen für alle werden. Aber genauso gut ist eine Ära der Kleinkriege möglich, bis hin zu Massenvertreibungen zwecks Veränderung lokaler Mehrheitsverhältnisse. Auch dieser Gefahr gilt es entgegenzuwirken.
Wenn es Kabila tatsächlich schafft, eine breite Koalition der Opportunisten hinter sich zu scharen, entsteht damit also höchstens die Fassade eines Staates – ein Staat, wie ihn die Kongolesen von früher kennen, der für sich das Monopol des Umgangs mit den Reichtümern des Landes beansprucht und dessen örtliche Instanzen mit diesem Monopol ihre privaten Interessen sichern dürfen. Die EU-Soldaten in Kinshasa würden in diesem Fall eine dekorative Rolle spielen – unter der französischen Trikolore, die in diesem Land schon zu Mobutu-Zeiten für Solidarität mit Diktatoren stand. DOMINIC JOHNSON