: „Pinguine neigen zum Konservatismus“
Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow, Erfinder des literarischen Pinguins Mischa, erklärt, warum das Lager der „orangenen Revolution“ heute so schwach ist und die Ukraine eine große Koalition braucht. Und für wen Mischa stimmt
taz: Die Partei von Exregierungschef Wiktor Janukowitsch liegt in den Umfragen weit vorn. Rächt sich die Zerstrittenheit des orangenen Lagers?
Andrej Kurkow: Zuerst war ich darüber auch sehr enttäuscht, aber jetzt glaube ich, dass das orangene Lager weniger Stimmen bekommen hätte, wenn es zusammengeblieben wäre. Aber der Block aus der neuen Partei Pora und der Partei für Reformen und Ordnung, PRP, die Juschtschenko während der Revolution unterstützt hat, scheint ja nicht mal die Dreiprozenthürde zu nehmen. Warten wir’s ab. Pora, das sind vor allem junge Leute, die von Juschtschenko enttäuscht sind. Ich finde es gut, dass die Partei Unsere Ukraine von Präsident Juschtschenko die Gründung von Pora quasi selbst initiiert hat. Sollte Pora-PRP ins Parlament kommen, wird sie dort künftig als radikale Kraft eine wichtige Rolle spielen.
Wie erklären Sie die hohe Zustimmung zu Janukowitsch?
Ein Teil der enttäuschten Wähler hat sich wieder Janukowitsch zugewandt. Natürlich half ihm auch der Streit zwischen Juschtschenko und Expremierministerin Timoschenko. Außerdem hat sich Janukowitsch taktisch klug verhalten. Er ist im letzten Jahr wenig in Erscheinung getreten, hat kaum um seine Popularität gekämpft und sich mit Versprechen sehr zurückgehalten. Das liegt wohl auch an seinen neuen amerikanischen Beratern.
Im Moment sieht es so aus, dass es für keines der beiden großen Lager für eine Mehrheit reicht. Das bedeutet eine große Koalition, vielleicht sogar unter Janukowitsch. Ist Ihnen dieser Gedanke nicht unsympatisch?
Juschtschenko und Janukowitsch zusammen, das wäre nicht das erste Mal. Immerhin haben beide im letzten Jahr ein Memorandum unterschrieben. Eine große Koalition kann auch gut für die Ukraine sein. Denn Janukowitsch und Juschtschenko werden durch diese Koalition viele Unterstützer verlieren. Und dann werden Farben wie weiß-blau und orange nicht mehr viel bedeuten, dafür aber wirkliche Parteien entstehen.
Welche Rolle wird Exregierungschefin Julia Timoschenko künftig spielen?
Sie wird in der Opposition bleiben, und ehrlich gesagt, hoffe ich das auch. Da wird sie viel dringender gebraucht als in der Regierung. Sie ist eine Populistin, eine Kämpferin und keine politische Architektin. Also lassen wir sie lieber kämpfen. Wenn sie jetzt in der Opposition bleibt, hat sie echte Chancen 2009 vielleicht Präsidentin zu werden.
Während und nach der orangenen Revolution haben viele Ukrainer ihre Hoffnungen in Europa gesetzt. Jetzt ist die Ernüchterung groß. Ihr Schriftstellerkollege Juri Andruchowitsch hat unlängst von einem Verrat Europas an der Ukraine gesprochen.
Andruchowitsch ist ein echter Romantiker. Ich aber bin Realist und habe nie daran geglaubt, dass Europa die Ukraine wirklich integrieren möchte. Ehrlich gesagt ist die Ukraine auf Europa ja auch überhaupt nicht vorbereitet. Aber darin liegt ja auch die Chance für das Land, sich wirklich auf die eigenen, inneren Probleme zu konzentrieren.
Welches sind denn die drängendsten Probleme?
Wir sind noch keine politische Nation. Noch immer existieren zwei Ukrainen, zwei Mentalitäten, auch wenn von Feindschaft keine Rede sein kann. Eine nationale Identität existiert im Westen, nicht aber im Osten. Man kann aber nicht mit zwei Gesichtern leben, die in verschiedene Richtungen blicken. Eine große Koalition könnte helfen, diese Gegensätze zu überwinden. Dazu hat auch der Gasstreit mit Russland einen Beitrag geleistet. Da standen die Ukrainer zusammen – gegen Russland und gegen höhere Gaspreise. Ich hoffe, Russland wird uns noch öfter bei der Identitätsfindung helfen.
Mischa, der Pinguin und Hauptheld einiger Ihrer Romane, war zu Revolutionszeiten als Gast in Kiew. Wie er die Ereignisse kommentierte, ist nicht überliefert. Wem würde er jetzt seine Stimme geben?
Pinguine sind von Natur aus politisch wenig aktiv und neigen zum Konservatismus. Sie sind gegen Reformen, weil sie an ihr Leben gewöhnt sind. Sie möchten nicht die Temperatur ihrer Umgebung verändern. Deshalb würde Mischa wohl für Janukowitsch stimmen. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich das auch machen werde.
INTERVIEW: BARBARA OERTEL
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