Hauptschule im Abseits

Eltern und Gewerkschaften kritisieren Fachlehrermangel an Hauptschulen. Damit kein Unterricht ausfällt unterrichten viele Pädagogen fachfremd. Landesregierung: „Werben um Nachwuchs“

VON GESA SCHÖLGENS

An NRW-Hauptschulen herrscht ein eklatanter Lehrermangel. Fachkräfte fehlen vor allem in den Naturwissenschaften, Kunst und Musik. Mit viel Engagement versuchen die LehrerInnen, ihre Kollegen zu ersetzen und unterrichten Fächer, die sie gar nicht studiert haben. Doch darunter leidet die Qualität des Unterrichts, fürchten Eltern und Gewerkschaften.

Gerade in den technischen Fächern fehle Personal, „obwohl dieser Bereich für die Schüler besonders wichtig ist“, sagt Manfred Pollmann, Vorsitzender des Elternrats für Hauptschulen NRW. Fachlehrer für weniger beliebte „Mangelfächer“ würden an Realschulen und Gymnasien eingesetzt oder suchten sich diese gezielt aus. Auch sei das Durchschnittsalter der Hauptschullehrer im Vergleich deutlich höher.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW fordert ein Konzept zur Behebung des Lehrermangels. Einer Statistik des Schulministeriums zufolge seien im aktuellen Schuljahr allein rund 43 Prozent der Physikstunden an Hauptschulen fachfremd erteilt worden. Auch rund 38 Prozent der Chemiestunden und knapp 36 Prozent des Englischunterrichts wurden von Lehrern ohne Fachabschluss erteilt, an den Realschulen waren es jeweils nur rund 5 Prozent. In Mathematik liegt der Anteil an den Hauptschulen bei rund 30 Prozent. An vielen Schulen würden die Stundentafeln ohne fachfremden Unterricht zusammenbrechen, kritisierte VBE-Landesvorsitzender Udo Beckmann.

„Wenn das so weiter geht, gibt es bald keine Fachlehrer mehr. Jeder darf alles unterrichten. Dann fehlt den fachfremden Kräften auch die Rückendeckung bei Fragen und Problemen“, so VBE-Sprecherin Christel Jungmann. Es stelle sich die Frage, welche Bildungsziele man an den Hauptschulen erreichen wolle. Integration und Sozialarbeit seien nicht alles. „Es muss auch inhaltliche Ansprüche geben. Sonst gibt man die Schüler auf.“ Eine Fortbildung könne kein Fachstudium ersetzen, sagt auch Pollmann vom Elternrat.

Das sieht das Schulministerium anders. Nur durch Seiteneinsteiger und nachträgliche Qualifikation könne Unterrichtsausfall vermieden werden. „Die Bereitschaft der Lehrer ist durchaus da“, so Sprecher Andrej Priboschek. In den Anforderungen zwischen einer 5. Klasse der Hauptschule und einem Mathe-Leistungskurs lägen außerdem deutliche Unterschiede. Deswegen dürfe auch ein fachfremder Hauptschullehrer Mathe unterrichten.

Zudem müssten die Mangelfächer den Lehreramtsanwärtern wieder schmackhaft gemacht werden. „Wir werben intensiv um Nachwuchs“, sagt Priboschek. Die Hauptschulen würden durch ihre Umwandlung in Ganztagsschulen und die Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte aufgewertet. „Die Hauptschule ist nicht länger eine vergessene Restschule, sondern eine gewollte Schulform“, betont Priboschek.

Noch fehlt es allerdings an Aufstiegschancen für Lehrer an Hauptschulen, kritisiert der VBE. Verbünde zwischen Hauptschulen und Realschulen sollen den Lehrermangel beheben – laut VBE soll sich daraus eine „Allgemeine Sekundarstufe“ entwickeln. Aufgrund sinkender Schülerzahlen und deutlich weniger Anmeldungen an den Hauptschulen sei dies unverzichtbar. Fachlehrer aus den Realschulen müssten für andere Schulen zuständig sein, und umgekehrt. „Der Austausch ist aber nicht überall machbar“, fürchtet Pollmann vom Elternrat. Nicht jede Schule könne Personal entbehren.

Die Landesregierung lehnt eine Durchmischung der Schulformen ab. Ein Lehreraustausch im Verbund sei aber in manchen Fächern denkbar. Zudem setzt Schwarz-gelb auf die „eigenverantwortliche Schule“. Wenn sich die Schulen selbständiger organisierten, könnten die Lehrer profitieren und mehr eigene Ideen einbringen.