Die ganz normale Gewalt

LIDOKINO 4 „Die Frau des Polizisten“ und „Joe“ handeln von Gewalt in der Familie – der Zugang zum Thema ist höchst unterschiedlich

„Uwe ist kein schlechter Mensch“, sagt Philip Gröning. Der Filmemacher, 1959 in Düsseldorf geboren, spricht so gut Italienisch, dass er die Pressekonferenz zu seinem Wettbewerbsbeitrag „Die Frau des Polizisten“ in der Landessprache bestreitet. Uwe (David Zimmerschied) ist eine der drei Hauptfiguren, die zweite ist Christine (Alexandra Finder), die dritte das gemeinsame Kind Clara (Pia Kleemann), das etwa vier, fünf Jahre alt ist.

Uwe arbeitet im Streifendienst und hat eine Schwäche für seine Playstation, Christine scheint keiner Arbeit nachzugehen, außer dass sie sich um Clara kümmert. Die beiden sind weder reich noch arm, sie wohnen auf dem Land, eine Durchschnittsfamilie. „Normalität“, sagt Gröning, „gibt es auch in gewalttätigen Beziehungen.“ Um diese Normalität nachvollziehbar zu machen, lässt sich der Filmemacher viel Zeit. Knapp drei Stunden dauert „Die Frau des Polizisten“, und fast die Hälfte verstreicht, bis man zum ersten Mal sieht, wie Uwe zuschlägt.

Davor und auch danach gibt es viele alltägliche Szenen, Momente familiärer Innigkeit, Augenblicke des Spiels und der Ausgelassenheit, oft wird gesungen, manchmal haben die Eltern Sex, die große Nähe zwischen Mutter und Kind wird in vielen Szenen betont.

„Die Frau des Polizisten“ ist in 59 Kapitel eingeteilt. Manche dieser Kapitel bestehen aus nichts anderem als statischen Bildern menschenleerer Wohnräume, aus Nahaufnahmen von Stuhllehnen, Küchensieben oder Sofabeinen, manche sind voll von großartigem Quatsch wie das Kapitel, in dem Uwe ein Lied von zwei Fischen singt, die im Meer schwimmen und sich vor dem Hai fürchten.

An Liedern und Tieren herrscht kein Mangel, nach und nach wird der Film zum Bestiarium; Fuchs, Reh, Eichhörnchen, Hase, Katze, Dackel, Regenwürmer et cetera bekommen ihren Raum. Und schließlich gibt es die Figur eines alten, allein lebenden Mannes, die nicht weiter erklärt wird.

Das wirkt kühn – es gibt hingegen auch einiges, was nervt, die nahezu ungebrochene Niedlichkeit der Tochter zum Beispiel, die doppelten Schwarzblenden, die die einzelnen Kapitel voneinander trennen, das Protzen mit ungewöhnlichen Kamerapositionen wie den frontal von oben gefilmten Einstellungen auf Küchentisch und Ehebett. Andere Bilder wiederum führen die Schwächen des Digitalvideos, das Grelle, Überkonturierte, schmerzlich vor Augen. So ist „Die Frau des Polizisten“ ein wenig wie die Familie, von der der Film erzählt: ein Wechselbad, etwas, das man liebt und hasst und nicht ohne weiteres verlässt.

Im Wettbewerbsprogramm folgt direkt darauf ein weiterer Film, der von Gewalt in der Familie handelt: David Gordon Greens „Joe“. Er spielt in einer von Armut gezeichneten Gegend irgendwo in den Südstaaten; Southern Gothic und Realismus wickeln sich umeinander. Im Mittelpunkt stehen Gary (Tye Sheridan) und Joe (Nicolas Cage). Der Junge ist 15, sein Vater Alkoholiker, die Mutter hilflos, der Alte schlägt den Sohn und nimmt ihm das Geld weg, das er als Waldarbeiter in Joes Firma verdient. Joe wiederum saß im Gefängnis und hat Mühe, seinen Alltag zu meistern, ohne seine Fäuste oder seine Kampfhündin ins Spiel zu bringen. Whiskey trinkt er schon zum Frühstück.

Wo Gröning auf den Bruch mit Erzählkonventionen setzt, geht Green in Richtung Genre, und wo der Deutsche der gewalttätigen Figur etwas Ambivalentes lässt, arbeitet der US-Amerikaner mit eindeutig definierten Rollen: Die einen sind Schurken, bei den anderen sitzt das Herz am rechten Fleck, selbst wenn sie manchmal einen Verkehrspolizisten schikanieren. Das Schöne an Filmfestivals ist, dass sie solche zufälligen Begegnungen von Filmen ermöglichen. Im Vergleich zeichnen sich die unterschiedlichen – und jeweils reizvollen –Zugänge umso deutlicher ab.

CRISTINA NORD