: In Trance bis nach Sibirien
Wenn man schon wirklich alles gehört hat und man meint, dass einen jetzt tatsächlich nichts mehr erschüttern könnte, gibt es doch immer noch irgendwo im Wald hinter den sieben Bergen und links ab bei den wundersamen Pilzen ein Geheimnis in der Musik. Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger war das zum Beispiel die Third Ear Band, die sich irgendwo im Niemandsland von Folklore, Jazz, indischen Ragas und einem mittelalterlichen Marktplatz verlor. Eine Trancemusik. Hypnotisch in ihrer stoischen Repetition. Gespielt vor allem mit Oboe, Geige und Perkussion. „Alchemy“ nannte sich treffend ihr Album-Debüt (auf dem bei einem Titel auch der Radio-DJ John Peel an der Maultrommel zu hören ist, und der war immer gerade da, wo Musik wirklich interessant war). Im Begleittext auf dem Cover ist dabei zu lesen, dass sich manchmal „ein großes Tor zu öffnen scheint und die Band und das Publikum in eine neue Dimension gleiten und Zeit und Raum überwinden, und hinter diesem Tor gibt es nicht mehr als diese seltsame und wunderschöne Musik“.
So ein Geheimnis ist diese Musik.
Und nochmal die Oboe, die Geige, Perkussion. Auch die Maultrommel. Dazu etwas digitales Gerät im Handgepäck. Wenn man etwas Glück hat, geht hier wieder das Tor auf und die Musik schweift hinaus ins Freie bei Úzgin Üver, die schon auch so ein Geheimnis sind. Gehütet wird es in Kecskemét, einer mittelgroßen Stadt in Ungarn, wo man wohl schon dieses Steppengras hören muss, von dessen Gesang sich die Band treiben lässt, den hypnotischen Spuren folgend mit einer Trancefolklore, die von Úzgin Üver frei nacherfunden wird von der Puszta weg über die Karpaten in die Mongolei bis nach Sibirien.
Heute spielen Úzgin Üver im Szimpla (20 Uhr) und am Samstag im Supamolly (22 Uhr), zum Auftakt der Konzertreihe „Update 1.0 Budapest“, mit der bis Ende Mai eine Menge an Argumenten (Mihály Dresch etwa) vorgelegt werden, dass man sich in Ungarn einfach unverkrampfter mit der Folklore herumschlägt als hier in Deutschland. Dass die Nazis mit ihrem Blut & Boden einem einigermaßen unkomplizierten Umgang mit der Volksmusik das Genick brachen, ist dabei ja nur der eine Grund. Der andere, dass sich hinter Slowenien als letztem Polka-Außenposten die Folklore ostwärts einfach immer interessanter, toller, schräger hört als alles, was hier so an Volksmusik zur Verfügung steht.
Wobei man es doch mal vielleicht einfach mit so einem ins Geheimnis und die Trance hinein gespielten Zwiefachen versuchen müsste. THOMAS MAUCH
■ Update 1.0 Budapest. Programm: www.szimpla.hu/berlin