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Archiv-Artikel

Vier Meter und fünf Zentimeter Bücher

FEIERN Der Verbrecher Verlag wird volljährig. Unser Autor Werner Labisch hat ihn mitgegründet und stieg dann aus – ein Rückblick zum 18. Geburtstag

Der Verbrecher Verlag

■ 1995 gründeten die ehemaligen Literaturstudenten Werner Labisch und Jörg Sundermeier den Verbrecher Verlag. Der Programmschwerpunkt liegt auf Belletristik, zudem veröffentlicht der Verlag Sach- und Kunstbücher sowie eine Stadtbuch- und eine Filmliteratur-Reihe.

■ Unter dem Motto „Der Verbrecher Verlag wird 18 Jahre alt – endlich strafmündig!“ soll am Dienstag mit Lesung und Musik gefeiert werden. 20.30 Uhr im Monarch, Skalitzer Str. 134, Eintritt 4 Euro.

VON WERNER LABISCH

„So, nun fühlt mal, wie der Stein in eurer Hand liegt. Wie fühlt er sich an? Wie schwer ist er, gibt es eine Art ihn zu halten, die euch angenehm ist?“ Obwohl die freundliche Stimme der Musiklehrerin, die auch Theaterpädagogik unterrichtet, sich mit einem hauchdünnen österreichischen Akzent in mein Ohr schmeichelt, klappt’s nicht. Ich denke schon wieder nicht an den Stein. Ich denke an den Verbrecher Verlag, denn vor zehn Minuten habe ich die Nachricht auf meiner Mailbox abgehört. Ja, es sei kurzfristig, ob ich nicht was zum Geburtstag des Verbrecher Verlages schreiben könne. So mit Blick von außen, mit Insiderwissen über die Anfänge, wie alles begann.

Klar, mache ich. In letzter Zeit rede ich sowieso viel über den Verlag. Ich werde Erzieher und muss mich gefühlt dreimal täglich in Gesprächsrunden vorstellen. Da sage ich, was ich früher gemacht habe. Unter anderem war ich eine Hälfte des Verbrecher Verlages. Seit 2010 bin ich es nicht mehr.

Ich hatte bereits vergessen, wie das ist, wenn man sagt: Verbrecher Verlag. Man kann auch sagen: „Guck, die Kuh, wie schön sie fliegt mit ihrem lila Schlüppi!“ Häufige Reaktionen: Kichern, leere Blicke, Kopfschütteln, Neugier, Verwunderung und manchmal gern auch alles zugleich.

Dreizehn andere und ich klopfen mit Steinen einen Rhythmus auf den Boden und singen ein afrikanische Kinderlied. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich hier komplett zum Horst mache. Das habe ich hinter mir und früher ausführlich getan. Öffentlich, wie damals, als Jörg Sundermeier und ich, verkleidet als die Autorinnen Passig und Strübel, mit albernen Perücken aufm Kopp auf einer Bühne saßen. Heimlich, als ich mir mit Jörg vielfältigste Arten ausmalte, wie wir die Eingeweide des Straßensängers in der Rosenthaler, der zum 157. Mal „Wonderwall“ folterte, bis nach Köpenick verteilen könnten. Wir haben uns gegenseitig davon abgehalten und sind lieber abwechselnd Bier holen gegangen. Wir mussten oft gehen. Nun, der Barde hat einigen Erfolg in Asien, Jörg residiert mit dem Verlag im ehrenwerten Kreuzberg, und ich lebe in Leipzig.

Mist, jetzt bin ich aus dem Takt gekommen. Steine auf den Boden klopfen, sie dann weitergeben und dabei im Rhythmus zu bleiben ist nicht so leicht. Alle müssen noch mal anfangen.

Wir machten Bücher. Bücher, die uns gefielen und die wir uns leisten konnten. Geld war immer ein Thema. Und Spaß und konzentriertes Arbeiten und Flexibilität und Multitasking und nett sein und sich durchsetzen können und andere überzeugen. Halt so wie im echten Leben. Wie soll man das hier reinpacken? Das mit dem Verlag und das Leben davor und danach?

Was es zur Verlagsgeschichte und dem Verlagsnamen zu sagen gibt, kann man im Internet nachlesen. Da steht ja so einiges drin. Was dort nicht steht, ist, dass Jörg und ich Dinge getan und erlebt haben, die wir uns allein nicht zugetraut hätten. Und dass ich felsenfest der Meinung bin, dass wir es auf keinen Fall nicht hätten tun sollen. Ich bin froh, dass wir den Verlag gegründet haben, und ich bin froh, dass Jörg ihn weiterführt. 6 mal 67,5 Zentimeter, das ergibt 4 Meter und 5 Zentimeter Bücher aus dem Verbrecher Verlag. Ich hab’s nachgemessen. Sie krönen mein Bücherregal. Wörtlich. Von den meisten Bänden kann ich sagen: Ich war dabei. Es gibt Dinge, die man macht, die werden größer als man selbst. Deswegen darf ich dem Verbrecher Verlag zum 18. Geburtstag gratulieren und mich erinnern.

Erinnern bedeutet natürlich auch, Fragen zu stellen: Lieber Jörg, warum haben wir damals den Kalender nicht gemacht, ich meine den Pin-up-Kalender, in dem es nur Nacktfotos von uns beiden gegeben hätte? Habe ich gekniffen, oder haben wir gedacht, das sei eine schlechte Kopie von Chotjewitz und Rambow?

Erinnern hat seine eigene Struktur. Das hat mir der Herr Kuhlbrodt beigebracht. Und das mit dem rhythmischen Steine-auf-den-Boden-Klopfen hat auch noch geklappt.