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Archiv-Artikel

Die Museen sind geschlossen

ILB 6 Beim Internationalen Literaturfestival sprechen Bora Cosic und Roman Simic über Belgrad und Zagreb als Leerstellen: Das intellektuelle Erbe Jugoslawiens ist verschwunden

Immer wieder wird die Frage danach gestellt, was eigentlich aus dem intellektuellen Erbe Jugoslawiens geworden ist. Haben Nationalismus, Krieg und Auflösung der jugoslawischen Föderation wirklich alles vernichten können? Irgendetwas muss doch von all den surrealistischen Dichtern und Künstlern, von den avantgardistischen Autoren und Architekten übrig geblieben sein. Eine Spur zumindest in Kultur und Gedächtnis der großen Städte Belgrad oder Zagreb zu finden sein. Wenigstens in den Museen. Die einfachste Antwort auf diese Fragen gab am Montagabend der serbische Schriftsteller Bora Cosic: „Die Museen in Belgrad sind alle geschlossen.“

Über den Wandel der Städte Belgrad und Zagreb sollte der Schriftsteller im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals im Collegium Hungaricum mit seinem sehr viel jüngeren, kroatischen Schriftstellerkollegen Roman Simic diskutieren.

Cosic, einer der hierzulande bekanntesten Vertreter der jugoslawischen Intelligenz, wurde 1932 in Zagreb geboren und lebte von 1937 bis 1992 in Belgrad. Über die serbische Gesellschaft sagt er: „Die Leute lesen nichts mehr, und das, was sie lesen, ist Mist. Mit der Avantgarde haben die Jüngeren überhaupt keine Kontakt mehr. Sie haben mit nichts mehr Kontakt. Sie wissen nicht einmal, wo der Flughafen ist.“

Worauf Cosic hinauswill, ist der Kontakt nach Europa. Dieser sei abgebrochen, meint er. Man erfahre in Belgrad nicht nur nichts mehr von der alten Avantgarde. Selbst einen Picasso oder einen Matisse könne man nirgends mehr sehen. Während sich im Belgrad der 30er Jahre die Cafés „Europa“ nannten und sich darin das Bedürfnis nach Moderne und Fortschritt ausgedrückt habe, spiele die heutige Gesellschaft nur noch Turbofolk.

Der in Zagreb lebende, dort 1972 geborene Roman Simic stimmt seinem Kollegen zu. Auch wenn er mit den surrealistischen Avantgarden der 30er Jahre ebenfalls keinen Kontakt habe, erlebe er Belgrad und Zagreb in Apathie. Belgrad sei für ihn aber aus einem ganz anderen Grund ein „Symbol der Abwesenheit und des leeren Raums“. Seine Großeltern seien zu Beginn des Sezessionskrieges von Kroatien nach Serbien gezogen. Jahrelang habe er sie nicht gesehen, keinen Kontakt zu ihnen gehabt.

Doch auch zu Zagreb hat der junge Autor, der Programmdirektor des renommierten Festival of the European Short Story ist, keinen richtig guten Kontakt.

Wie Cosic hat auch er zunächst nur die ersten vier Jahre in der Stadt verbracht. Erst als 20-Jähriger sei er während des Bürgerkriegs zurück nach Zagreb gekommen. Doch bis heute fühle er sich dort als „Zuziehender“, als jemand, der gerade in der Stadt angekommen ist und höchstens zehn Straßen und Leute kennt. Denn wie in Belgrad sei auch in Zagreb Turbofolk angesagter als das, was er und andere jüngere Autoren und Künstler so machten.

Nun ja, könnte man nach so einem Abend sagen, das Klagen über die mangelnde Wahrnehmung der jungen Dichter oder der alten Intelligenzija durch den Mainstream ist nun keine spezifische Besonderheit Belgrads oder Zagrebs. Und es ist selbstverständlich, dass es auch in diesen Städten urbane Szenen gibt, die nicht nur aus Analphabeten und Ignoranten bestehen. Die Frage aus dem Publikum danach, was denn junge Zagreber und Belgrader wirklich lesen und wie sie darüber reden, zu beantworten, hätte durchaus mehr Einblick in den Wandel der Städte geben können, als immer wieder nur nach dem Verbleib des großen intellektuellen Erbes zu fragen. DORIS AKRAP