Kontrolliertes Dreierlei

Protokoll-Affäre: Ermittler der Bürgerschaft spricht von „Büroversehen“. CDU und Rot-Grün inszenieren Posse um sich gegenseitig bewachende PUAs

„Wir müssen alle Rechtszweifel aus dem Weg schaffen“: Berndt Röder

Von Sven-Michael Veit

Die Regierungskrise in Hamburg ist in Teilen die Folge eines „Büroversehens“. Die Versendung von Sitzungsprotokollen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Feuerbergstraße an die Senatskanzlei erfolgte „ohne erkennbares Unrechtsbewusstsein und ohne jegliche Tarnung“. Zu diesem Schluss kommt Werner Kuhr, der vom Präsidium der Bürgerschaft als Sonderermittler zur Aufklärung der Protokoll-Affäre eingesetzt worden war.

Gleichwohl seien die von ihm festgestellten Verstöße „objektiv schwer wiegend“, erklärte Kuhr, im Hauptberuf Vizepräsident des Hamburger Finanzgerichtes, als er gestern im Rathaus seine „zusammenfassenden Feststellungen“ präsentierte. Der vollständige Bericht wurde jedoch nicht veröffentlicht.

Nach Kuhrs Recherchen wurden „17 oder wahrscheinlich 18“ Protokolle von PUA-Sitzungen von Sachbearbeitern der Senatskanzlei von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zugemailt. Einige davon fanden bekanntlich ihren Weg in die Sozialbehörde zu Staatsrat Klaus Meister (SPD) und in die Chefetage des Justizsenators Roger Kusch (CDU). Beide wurden inzwischen entlassen.

Ursächlich dafür sei gewesen, dass Mitarbeiter der Bürgerschaftskanzlei im Frühjahr 2005 die Protokolle der ersten drei PUA-Sitzungen „aus Versehen“ über den allgemeinen Verteiler versandt hatten und damit auch an das direkte Umfeld des Bürgermeisters. Die weiteren Unterlagen wurden nach dem 16. September 2005 von Mitarbeitern des PUA-Arbeitsstabes versandt.

Zuvor hatte ein ebenfalls subalterner Mitarbeiter der Senatskanzlei sich erkundigt, warum denn seit geraumer Zeit keine Protokolle mehr eingetroffen seien. Daraufhin sei der Anfragende wieder in den Verteiler aufgenommen worden. Der Leiter des Arbeitsstabes habe erst Anfang März von dem Mail-Verteiler erfahren und diese Praxis „umgehend gestoppt“. Das alles sei, so Kuhr, „ohne erkennbare Arglist“ passiert, juristisch allerdings von Belang.

Deshalb wurde noch gestern Kuhrs vollständiger Bericht der Staatsanwaltschaft zugestellt, erklärte Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU). Zudem prüfe der Justiziar der Bürgerschaft die Einleitung disziplinar- und arbeitsrechtlicher Maßnahmen gegen fünf Mitarbeiter. Als dritte Konsequenz werde „im Einvernehmen mit allen drei Fraktionen“ eine Präzisierung des PUA-Gesetzes erarbeitet, die schon auf der nächsten Bürgerschaftssitzung am 12. April beraten werden solle. Damit solle „unmissverständlich geregelt werden“, so Röder, wer Einsicht nehmen dürfe in vertrauliche Unterlagen eines PUA und wer eben nicht: „Wir müssen alle Rechtszweifel aus dem Weg schaffen.“

Die Veröffentlichung des vollständigen Kuhr-Berichts aber lehnt das Präsidium ab. „Eine ausreichende Anonymisierung“, so Reinhard Wagner, Direktor der Bürgerschaft, sei „nicht möglich“. Als Dienstherr habe das Präsidium „alle datenschutzrechtlichen und personalfürsorgerischen Pflichten“ gegenüber den betroffenen Mitarbeitern „streng zu beachten“. Mit der gleichen Begründung lehnte anschließend auch die Senatskanzlei die Veröffentlichung des Berichtes ihres Sonderermittlers Axel Gedaschko ab (Text unten).

Derweil bahnt sich eine parlamentarische Posse an, welche der Affäre eine bizarre Note zu verleihen droht. SPD und GAL haben die Einsetzung eines neuen PUA beantragt, der seinerseits den rechtswidrigen Protokollfluss des PUA Feuerbergstraße aufklären soll. Die CDU hingegen will dessen Auftrag so erweitern, dass dieser sich selbst überprüft. Welcher Antrag nun juristisch höherrangig sein mag, darüber brüten dieser Tage die Juristen der Bürgerschaftskanzlei.

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