: Gedämpfte Nordlichter
Im Spitzenspiel der Fußball-Regionalliga Nord schlägt Rot-Weiss Essen Holstein Kiel mit 2:1. Die Kieler verpatzen damit das zweite „Endspiel“ um den Aufstieg in die 2. Liga. Der dürfte in ihrer gegenwärtigen Form kaum noch möglich sein
Ein schöner Fußballnachmittag war das nicht. Regenschauer und heftiger Wind machten das Zuschauen beim Spiel Rot-Weiss Essen gegen Holstein Kiel schon zur Geduldsprobe. Als hätte das nicht gereicht, agierten die Gäste aus Kiel beim Spitzenspiel der Regionalliga Nord derart leidenschaftslos, dass der Essener Trainer Uwe Neuhaus danach gleich zur Tagesordnung überging: Der 2:1-Erfolg seiner Mannschaft sei „reine Statistik“ gewesen.
„Der Erfolg der Essener ist in Ordnung“, sagte Neuhaus‘ Kieler Widerpart Frank Neubarth gefasst. Er wirkte ebenso wenig überrascht, wie seine Spieler: „Es war klar, wir spielen RWE nicht an die Wand“, sagte Mike Riepietsch. „Und was soll ich sagen, RWE hat ein Tor mehr erzielt.“
Essens Trainer Neuhaus gab sich im Nachhinein als Orakel: Immer wenn seine Mannschaft in der laufenden Saison ein Spiel verloren habe, sei sie in der Woche darauf erfolgreich gewesen, sagte er. War die Niederlage am vergangenen Woche bei Carl-Zeiss Jena also einkalkuliert, um gegen den direkten Aufstiegskonkurrenten Holstein Kiel dreifach punkten zu können? Ganz so einfach lief die Sache nicht.
Zwar ging Essen mit einem Treffer von Victor-Hugo Lorenzon in der zehnten Minute in Führung. Doch André Breitenreiter glich bereits zwei Minuten später aus. Kurz vor der Halbzeitpause (58. Minute) traf Arie van Lent (58.) zum 2:1. Dass dieser Sieg in der zweiten Halbzeit nicht ausgebaut wurde, lag an den technischen Grenzen der Akteure in rot-weiss.
Denn ganz Fußball-Kiel schien die Niederlage einkalkuliert zu haben: Nur 500 Fans begleiteten ihr Team ins Ruhrgebiet. Ihre Sangeskraft hielt sich unter den insgesamt rund 14.000 Zuschauern in Grenzen. Lediglich nach dem überraschenden Ausgleich wurde es im linken Drittel der Gegengeraden etwas lauter. Aufstiegseuphorie hört sich anders an.
Vielleicht liegt es auch an der fehlenden Routine der Kieler. Seit dem Abstieg aus der damaligen 2. Bundesliga Nord in der Saison 1980/81 pendelten sie zwischen dritter und vierter Liga hin und her. Fasst scheint es so, als sollten sie auch in diesem Jahr den Sprung nach oben verpassen. Nach der 1:2 Niederlage gegen Jena ging jetzt das zweite „Endspiel“ um den Aufstieg verloren. „Wir sollten uns jetzt erst einmal um uns selber kümmern und aufhören, an die Konkurrenz zu denken“, lautete Neubarths Fazit am Ende der Null-Punkte-Woche.
Vor Saisonbeginn ging man davon aus, dass die Konkurrenz für Holstein Kiel hauptsächlich aus dem Norden käme. Der FC St. Pauli und der VfB Lübeck lauerten. Nun kommt mit Carl-Zeiss Jena ein weiterer möglicher Aufsteiger hinzu. Und gegen die beiden Nord-Teams muss Kiel noch antreten. In der Form der beiden vergangenen Spitzenspiele dürfte es wohl eher schwierig werden mit dem Aufstieg.
In Essen schaut man derweil weiter. Obwohl das Tabellenbild immer noch unter den winterlichen Spielausfällen leidet, wächst der Vorsprung auf die Nicht-Aufstiegsplätze. Ein Jahr nach dem Abstieg könnte Rot-Weiss Essen in die zweite Bundesliga zurückkehren. Vielleicht sollten sie sich in Zukunft mal nicht mehr so häufig auf die Statistik verlassen. In den vergangenen 30 Jahren wechselten die Essener alle ein bis zwei Jahren die Ligen. Erstklassig waren sie zuletzt in der Saison 1976/77.
HOLGER PAULER