: Schwedische Auszeit
ARBEITSKAMPF Kein Köttbullar: Bei Ikea und H & M haben am Donnerstag rund 180 Beschäftigte im Einzelhandel gegen die Auflösung des Tarifvertrags gestreikt. Arbeitgeber zeigen sich gesprächsbereit
In der H & M-Filiale an der Friedrichstraße sind keine Einkäufer, Touristen meiden den Bürgersteig, auf dem Mitarbeiter der Bekleidungskette in gelben Warnwesten stehen: Wie in über zehn anderen Einzelhandelsbetrieben in Berlin haben die VerkäuferInnen auch hier am Donnerstagmorgen ihre Arbeit niedergelegt. Sie protestieren gegen die Auflösung des Manteltarifvertrags durch die Arbeitgeberseite im vergangenen Frühjahr. Die Einigung garantierte den Angestellten Lohnfortzahlung bei Krankheit und bezahlte Urlaubstage. Außerdem fordern die Beschäftigten einen Euro mehr Stundenlohn und gleiche Bezahlung für Angestellte in den Ost- und Westbezirken.„Es ist ein gutes Gefühl, dass die Straße für uns gesperrt wurde, das stärkt unseren Zusammenhalt“, sagt Jan Richter, Betriebsrat in der H & M-Filiale. Er steht etwas abseits und betrachtet die etwa 100 Streikenden aus der Ferne. „Wir sind das Gallien der H & M-Filialen“, sagt er. 60 Leute arbeiten in dem Geschäft an der Friedrichstraße, davon seien mehr als 80 Prozent Gewerkschaftsmitglieder.
Mangelnde Protestkultur
Um an diesem Tag keinen Verdienstausfall zu haben, setzt die Geschäftsleitung nicht organisierte Mitarbeiter aus anderen Filialen in dem Laden an der Friedrichstraße ein. Auf ihren Protest sind die Gewerkschafter stolz: Sie rechnen fest damit, dass der Konzern durch ihren Streik Umsatzeinbußen haben wird. „Bei H & M gibt es eigentlich gar keine Protestkultur“, sagt Richter. Der Konzernchef sei einer der reichsten Männer der Welt, aber „uns will er in den Niedriglohnsektor abschieben“.
Zum Streik aufgerufen hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Sechs H & M-Filialen, die vier Berliner Ikea-Standorte und VerkäuferInnen des Modelabels Esprit sind dem Appell gefolgt. Ver.di hatte zwei Kundgebungen organisiert, eine vor der Ikea-Filiale in Spandau, die andere in der Friedrichstraße vor H & M. Petra Ringer, Gewerkschaftssekretärin für den Fachbereich Handel, geht von insgesamt 180 Streikteilnehmern aus.
Neben dem weißen Kleinbus, aus dem die Streikenden an der Friedrichstraße mit Kaffee und Butterbrezeln versorgt werden, steht Carla Dietrich, Verantwortliche für Textil-Gewerbe bei der Ver.di-Jugend. Sie kritisiert die fehlende Verhandlungsbereitschaft auf Arbeitgeberseite, nachdem der Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB) am 30. April aus dem Manteltarifvertrag ausgetreten war: „Wir sind ja bereit, unsere Verträge zu modernisieren, aber das bedeutet für uns nicht mehr Flexibilisierung und weniger Gehalt.“
Die Streiks beeinträchtigten den Verkauf nicht, sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des HBB. Er nehme den Streik der Angestellten ernst und sei auch gesprächsbereit: „Die wesentlichen Eckwerte des Manteltarifs wie Weihnachtsgeld wollen wir nicht verändern, es geht nur um flexiblere Arbeitszeiten.“ Für die nächsten Tage sind weitere Streiks angekündigt. CEM GÜLER