Heides Lichttherapie

Heide Simons tritt heute Abend im RTL-Tanzturnier „Let’s dance“ (21.15 Uhr) auf – schon jetzt prangern Feuilletonisten diese „ultimative Peinlichkeit“ an. Dabei ist Simonis nur ehrlich

Nur über eine einzige Frage steht dem Publikum ein Urteil zu: Wie gut oder wie schlecht Simonis tanzt

VON BETTINA GAUS

Darf die das? Nein, die darf das nicht. Oder jedenfalls dürfte sie das nicht, wenn einige Medien und deren Feuilletonisten endlich etwas zu sagen hätten im Land. Ans „Dschungelcamp“ fühlt sich die Welt erinnert. „Ihr Vorgänger, der feine Diplomat,“ so seufzt es aus dem Blatt, „hätte das nie gemacht.“ Die Jungle World findet, „der ganze Schmarren“ sei „mehr als fragwürdig“ und wird grundsätzlich: „Sie hätte durchaus noch etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anfangen können.“

Auch der Großkritiker Hellmuth Karasek greift ganz tief in die Tasten und lässt das Ergebnis gleich in mehreren Regionalzeitungen veröffentlichen: Eine „Gigola“ sei sie, die als „Hupfdohle“ abgeklatscht werden könne. Während man noch versucht, diese etwas widersprüchlichen Bilder im Kopf zusammenzubringen, kündigt Karasek bereits dramatische Schritte an: RTL wird er sich „sperren lassen“, so lange „Frau Simonis in den Abgrund der Lächerlichkeit tanzt“.

Der Mann muss einen sonderbaren Fernsehapparat besitzen. Andere Leute können einfach um- oder abschalten, wenn sie ein Programm nicht sehen wollen. Ob sich wirklich kein „verbliebener Freund“ findet, der Karasek erklärt, wie man so etwas macht? Einen solchen hätte er schließlich auch Heide Simonis gewünscht, um die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein vor einer „drohenden Niederlage in ultimativer Peinlichkeit“ zu bewahren.

Worin besteht die denn nun eigentlich? Tritt Heide Simonis als Stripperin in einer viertklassigen Bar auf? Isst sie lebende Frösche? Oder lässt sie sich „privat“ für Mitarbeit an einem Projekt entlohnen, das sie während ihrer Amtszeit aus politischen Gründen gefördert hat – ganz nach dem Vorbild eines noch prominenteren Parteifreundes und frei nach dem Motto: „Ich bin nicht mehr ganz jung und brauche das Geld“?

Nichts von alledem. Sie ist ehrenamtliche Vorsitzende von Unicef Deutschland, und sie tritt heute als eine von mehreren Kandidatinnen in einem RTL-Tanzwettbewerb auf. Reinhard Schlagintweit, ihr Vorgänger in diesem Amt, hat derlei nie getan, wie die Welt zu Recht anmerkt. Es war sein gutes Recht, sich entsprechenden Anfragen zu verweigern, sollten sie denn an ihn gerichtet worden sein. Aber immerhin bekommt die Organisation ein wenig Geld für den Auftritt von Heide Simonis, egal, ob sie nun von Jury und Zuschauern herausgewählt oder zur Siegerin gekürt wird.

Es gibt vorzügliche Gründe, eine solche Sendung doof zu finden. Man kann auch den Standpunkt vertreten, Heide Simonis beweise nur ein weiteres Mal, dass sie publicitysüchtig sei und sich mit ihrem Abschied von einer allseits präsenten öffentlichen Rolle nicht abfinden könne. Dieser Standpunkt ist vermutlich richtig.

Und weiter?

Es gibt nur wenige prominente Persönlichkeiten, die es herzlich verabscheuen, im Rampenlicht zu stehen. Sonst stünden sie da nämlich nicht. Dennoch tun die meisten so, als ob sie die spezifische öffentliche Form der Anerkennung für ihr Selbstwertgefühl keineswegs bräuchten. Das Publikum nimmt diese Lebenslüge hin, im Austausch für „Enthüllungen“ über das Privatleben in kleiner Münze. Von Dieter Bohlen bis Joschka Fischer.

Heide Simonis kommt das Verdienst zu, immerhin eingeräumt zu haben, dass sie nur schlecht mit dem Verlust an öffentlicher Bedeutung zurecht kommt. Sie hat in einer Talkshow danach gefragt, wo sie denn wohl bliebe, wenn es zu einer Koalition käme, in der sie nicht mehr die Regierungschefin wäre. Sie hat auf die Frage, was ihr nach dem Abschied vom Amt besonders schwer gefallen sei, geantwortet: „Das Schlimmste für mich war der leere Terminkalender.“ Sie hat zugegeben, dass sie es nur mühsam erträglich fände, auf der Straße nicht mehr erkannt zu werden.

Man kann all das erbärmlich finden. Oder man kann es für ehrlich halten. Anders ausgedrückt: Für eine Form jener Authentizität, die von Politikerinnen und Politikern immer wieder gefordert wird. Wer ohne öffentlichen Beifall nur schwer leben kann, hat ganz gewiss ein Problem. Aber es gibt weniger respektable Arten, mit einer derartigen Herausforderung umzugehen, als die Beteiligung an einem Tanzwettbewerb.

Der Auftritt der ehemaligen Politikerin kostet die Öffentlichkeit kein Geld und zieht für sie keinerlei Unannehmlichkeiten nach sich. Er ist, so widersprüchlich sich das im Zusammenhang mit einer Fernsehsendung auch anhören mag, allein die Privatangelegenheit von Frau Simonis. Nur über eine einzige Frage steht dem Publikum ein Urteil zu: Wie gut oder wie schlecht sie tanzt.

Aber es ist natürlich stets verlockend, sich über einen ungewöhnlichen Schritt lustig zu machen. Wenn das bloß nicht gleichzeitig so schrecklich spießig wäre.