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Archiv-Artikel

Kalauernde Herrscherfiguren

BAROCK REMIXED Das Schauspielhaus Dresden feiert seinen 100. Geburtstag und zeigt mit Henry Purcells „King Arthur“ einen Vorreiter der Genre-Auflösung in den Künsten

Die kriegs- und liebestollen Männer werden von den Schauspielern immer ein wenig ironisch gespielt

VON SIMONE KAEMPF

Nun gehört auch das Schauspielhaus Dresden zu den Hundertjährigen. Wie etliche der großen Theaterbauten in München, Hamburg oder Berlin wurde das Theater Anfang des letzten Jahrhunderts in zentraler städtischer Lage hochgezogen. Ein historisierender Bau mit opulenter Fassade, der im Februar 1945 zwar ausgebombt, aber im Rekordtempo binnen drei Jahren wiedereröffnet wurde.

Die fürstlich-höfische Theatertradition ist auch in Dresden noch mal um einiges älter. Es ist das Haus, das hundert Jahre alt wird und in Nachbarschaft zur barocken Semperoper und zum noch barockeren Zwinger um einiges strenger wirkt, aber genauso ehrgeizig dimensioniert ist. Ein Sakralbau für die Institution Theater, eingeweiht im September 1913, von den Bürgern privat finanziert und als Teil bürgerlicher Hochkultur identitätsstiftend in Beschlag genommen.

Heute fragt man sich: Hundertjähriges Jubiläum, was bedeutet das eigentlich? Hat das nur noch Symbolwert? Oder ist es gar eine Bürde? Das Alter schützt nicht vor Unkenrufen, vormachen kann man sich nichts. Und doch: Für die Positionierung der Theater ist der Umgang mit der eigenen greifbaren Historie zumindest ein Puzzlestein, wenn auch mit anderen Vorzeichen, um aufs Publikum zuzugehen. „Theater für die Stadt machen“ lautet die Formel allerorten, die die Theatermacher in unterschiedliche Milieus und Zeiten, Stadt- und Bildungsgeschichte schauen lässt.

Zum Geburtstag am Dresdener Schauspielhaus heißt das: erst mal Geburstagselogen, warme Worten von den Festrednern, Erinnerung an Zerstörung, Aufbau, aber auch an den Umbruch 1989, als die Inszenierung von Christoph Heins „Ritter der Tafelrunde“ die Erstarrung der späten DDR-Führung spiegelte oder das Ensemble mit dem berühmt gewordenen Satz „Wir treten aus unseren Rollen heraus“ den Nerv traf.

In der Saisoneröffnungspremiere tritt nun wieder ein König Artus auf, allerdings von ganz anderem Naturell als ein Politbüromitglied: tapfer und tatbereit. In Henry Purcells und John Drydens „King Arthur“ kämpfen die verfeindeten Sachsen und Angelsachsen gegeneinander, angeführt von Artus und dem ungehobelten Sachsenkönig Oswald. Man zieht in den Krieg und bald wird auch um die Gunst derselben Frau konkurriert.

Sachsen und Engländer – man könnte da leicht an das durch die Bombennacht traumatisierte Verhältnis der Dresdner zu den Briten denken. Doch davon keine Spur. Tilmann Köhlers Inszenierung zielt vor allem aufs Geschlechterpsychogramm ab. Die Männer sind eine polternd marodierende Horde, die kalauernd Gewalt ausübt. Die Frauen bleiben zur Passivität verdammt oder treiben als Elfen und Luftgeister ihr Unwesen und versuchen mit Zauberkräften zu manipulieren – ihr Mittel, um am Rad der Geschichte zu drehen.

Beatmet durch Musik

Auf einer schlichten, schrägen Dreiecksbühne wird gespielt. Allein lange weiche Stoffbahnen gleiten immer wieder herab, mit denen illusionistisch mal der Wald, ein Kampfplatz oder ein Separee simuliert wird. Zeitlos wirkt das einerseits, und doch hat Theater hier seine spezielle Gegenwärtigkeit. Wie diese kriegs- und liebestollen Männer von den Schauspielern Christian Erdmann und Matthias Reichwald immer ein wenig ironisch gespielt werden, das wirkt ganz aus dem Hier und Jetzt geboren. Ungebrochen mag man diese Herrscherfiguren nicht zeigen. Sei’s drum, dass manche Szene in Ironie untergeht.

Beatmet wird der Abend durch die Musik. Das Schauspielhaus, die Semperoper und das Orchester Collegium 1704 haben für „King Arthur“ kooperiert – eine Reminiszenz daran, dass das Schauspielhaus drei Jahrzehnte lang als Ersatzspielstätte für die Oper diente. Der Schmelz von Purcells Barock-Komposition lädt die Inszenierung sinnlich auf, verpackt Themen wie Krieg, Kampf und Liebesschmerz in zart schwebende Töne. Gesang, Orchestermusik und Schauspiel wirken stimmig nebeneinander, ohne sich gegenseitig auszustechen – Purcells barocke Semiopera erscheint plötzlich wie ein Vorreiter für die verschwimmenden Grenzen von Musik, Schauspiel und bildender Kunst.

Für den Geburtstag ein würdiger Abend, auch wenn er nur antickt, was Intendant Wilfried Schulz, der das Theater seit 2009 leitet, zum Bestehen formuliert: „Wir spüren, dass Real- und Theatergeschichte miteinander spielen.“ Deutlicher könnte man das bei Rimini Protokoll erkennen. In „100 Prozent Dresden“ werden 100 Menschen auf der Bühne stehen, die jeweils einen Teil der 500.000 Einwohner repräsentieren: etwa die 4,2 Prozent Ausländer, die 8,9 Prozent Arbeitslosen oder 51 Prozent Frauen. Ein statistisches Schaubild mit Unterhaltungswert, das Rimini Protokoll schon in anderen Städten realisiert hat und das ganz gut klar macht, wie Theater gerade tickt: Vor hundert Jahren eroberte man es sich als Ort der Repräsentation, heute wünscht man es sich als Ort des Authentischen, auf dem jeder mit seiner Stimme für sich sprechen kann.