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Archiv-Artikel

Was für ein Stoff, was für ein Märchen

MACHTERGREIFUNG Im Berliner Theater an der Parkaue wird „Der Reichstagsbrand“ für Jugendliche ungeeignet und unter Verwendung fragwürdiger Theorien inszeniert

VON UWE SOUKUP

Seit über 80 Jahren gibt es Streit um die Frage, wer am 27. Februar 1933 den Reichstag angezündet hat. Zunächst waren es die Exilanten um Willi Münzenberg, die die Nazis der Tat bezichtigten. Der Streit flammte wieder auf, nachdem ein niedersächsischer Verfassungsschutzmitarbeiter 1959 im Spiegel die Nachkriegsrepublik mit dem „Nachweis“ der Alleintäterschaft des Holländers Marinus van der Lubbe überraschte. Bis heute hat sich keine Seite wirklich durchgesetzt; Lufthoheit über den Historiker-Stammtischen hat allerdings die Alleintäterthese, obwohl sie brandtechnisch ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Blonde Komplizin

Wer nun aus dem Stück „Der Reichstagsbrand“ im Berliner Theater an der Parkaue herauskommt, hat eine gänzlich neue Theorie mit auf den Weg bekommen: Van der Lubbe habe nicht allein gehandelt, aber die Nazis haben ihm auch nicht unter die Arme gegriffen: Nein, er hatte eine Komplizin mit strohblonder BDM-Frisur, die ihrem geliebten „Rinus“ beim Zündeln half. Ist das noch ulkig oder schon absurd? Vor allem fahrlässig ist es. Denn die „Aussage“ von van der Lubbes „Freundin“ beherrscht das Ende des kurzen Stückes von Titus Faschina. Tröstet es da, festzustellen, dass es weder für Jugendliche ab 14 Jahren geeignet ist – schon deshalb, weil nichts erzählt wird –, noch, weil die vielen Andeutungen und Schlenker ohne Vorwissen nicht zu verstehen sind. Faden um Faden wird aufgegriffen – und fallen gelassen. Lehrer wären mit der Vor- und Nachbereitung heillos überfordert.

Warum wird im Programmheft prominent und ohne jeden Zusammenhang die Reichstagsbrand-Theorie des Berliner-Morgenpost-Redakteurs Sven-Felix Kellerhoff zitiert? Dessen Behauptung, nach der eine Rauchgasexplosion das Riesenfeuer im Plenarsaal verursacht haben soll, ist ein weiteres Märchen. Eine solche Rauchgasexplosion kann im Reichstag nämlich nicht passiert sein. Dafür haben weder das dazu notwendige Grundfeuer noch die Zeitspanne ausgereicht, in der die dazu notwendigen Gase hätten entstehen können. Dazu kommt, dass der damalige Plenarsaal im Reichstag zwangsbelüftet war, womit eine große Ansammlung potenziell gefährlicher Rauchgase a priori ausscheidet.

Kellerhoff, Verfechter der Alleintäterthese, benötigt diese Theorie aber dringend, um zu erklären, was nicht zu erklären ist: die Inbrandsetzung des Plenarsaals ohne Brandbeschleuniger. Ratlos lassen einen Stück und Beiheft zurück, woran die hervorragenden schauspielerischen Leistungen (Andrej von Sallwitz und Hagen Löwe) wenig zu ändern vermögen.

Die Filmcollagen, auf das Halbrund hinter der Bühne projiziert, schaffen auch keine Aufklärung. Was bleibt, ist Heldenverehrung eines politischen Attentäters, von dem wir immer noch weniger wissen, als wir zu wissen meinen.

Damit ist nicht die Frage gemeint, ob Marinus van der Lubbe Antifaschist war; natürlich war er das – irgendwie. Mitbedacht werden muss aber auch: Der Reichstagsbrand passte den Nazis ins Konzept, und zwar so sehr, dass es nie besondere Mühe erforderte, sich vorzustellen, die Nazis hätten das Haus der parlamentarischen Demokratie selber abgefackelt, um noch in der gleichen Nacht die Linke im ganzen Land zu verfolgen. Für eine kritiklose Verehrung des Marinus van der Lubbe gibt es daher wenig Gründe.

Schon deshalb nicht: Nur wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nazis gingen die seit der gescheiterten Revolution 1918/1919 verfeindeten Arbeiterparteien – erstmals – wieder aufeinander zu. Ein Treffen, dass sicherlich eine letzte Chance zur Verhinderung des Hitlerterrors barg, war für den 28. Februar um 9 Uhr im Reichstag anberaumt: Es war der Morgen nach dem Brand. Da waren die Kommunisten schon inhaftiert oder auf der Flucht, die Sozialdemokraten standen zunächst noch unter Beobachtung. Was für ein Stoff, und was für ein Stückchen.