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Archiv-Artikel

Ettal und die Odenwaldschule – sofort schließen?

ist Theaterregisseur und ehemaliger Ettal-Schüler Foto: privat

BENNO PLASSMANN

In den letzten Jahren hat das Lehrerbild einen erstaunlichen Wandel erfahren. Noch 1995 konnte Gerhard Schröder hoffen zu punkten, als er vor Schülern formulierte: „Ihr wisst doch ganz genau, was das [die Lehrer] für faule Säcke sind.“

Inzwischen sollen die Post-Pisa-Pädagogen nicht weniger als die Bundesrepublik retten, die bekanntlich keine anderen Rohstoffe als ihre Menschen hat. Dazu kam Erfurt, kam Winnenden und nicht zuletzt die Berliner Rütlischule, an der sich Lehrkräfte in einem Brandbrief über „Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz uns Erwachsenen gegenüber“ beschwerten.

Und nun? Sehen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, dass Pädagogen en masse nicht Opfer, sondern Täter geworden sind. Die Rede vom sexuellen Missbrauch verdeckt, dass etwa Gerold Becker seine Fantasien nur als der ausleben konnte, der er war: als (Internats-)Lehrer. Einen Callboy hätte er bezahlen müssen, der Gier nach Macht über das andere Subjekt wären klar ausgehandelte, erfrischend kapitalistische Grenzen gesetzt gewesen.

Lehrer sind per se ungut mächtig, sie sind es durch die aktuell verstärkten Hoffnungen, die in ihre Arbeit als Überlebenstrainer des Nachwuchses in einer sozial auseinanderdriftenden Gesellschaft gesetzt werden. Besorgte Eltern übergeben ihnen nur zu gern ein Maß an Verantwortung, das sie selbst zu tragen nicht bereit sind. Deswegen sind Einrichtungen wie Ettal oder die Odenwaldschule zur Existenzbedrohung für kindliche Seelen geworden: Nicht weil dort mehr böse Menschen herumliefen als anderswo; sondern weil hier die Türen doppelt dicht halten: die der Klassenzimmer – in denen allen neosoften Beteuerungen zum Trotz immer noch genügend Lehrer-Machtspielchen laufen –, und die zur Welt.

Die Schulen gehören geschlossen, als Mahnmale erwachsener Hybris, die sich unter dem Mantel sokratischer Herrenreiterfantasien unbedrängt ausleben durfte. In Zukunft könnten sich dort ja Lehrer über das eigene Ich fortbilden lassen und regelmäßig an Supervisionen teilnehmen. Dann würden sich viele einen anderen Job suchen. Und das wäre für alle gut.

Eine Vielfalt von Erziehungsmöglichkeiten in einer Gesellschaft ist für mich ein positives Gut. Die sich reproduzierende Kleinfamilie ist nämlich auch nicht die Antwort auf alle Übel.

Hier handelt es sich allerdings um Internatserziehung. Trotz des Missbrauchs im Namen von Idealen kenne ich aus meiner Internatserfahrung einen wichtigen positiven Aspekt: Peer-Learning, die gegenseitige Erziehung der Schüler untereinander. Wenn dies nicht nur eine Entschuldigung für Elternversagen ist (oft genug der Grund fürs Internat), sondern ein von Eltern und Erziehern verantwortungsvoll geleiteter Prozess, dann kann das etwas sehr Wertvolles sein.

Womit wir bei den Minimalanforderungen wären, die ein Weiterbestehen dieser zwei symbolhaften Institutionen rechtfertigen würden:

1. Sogar die Bundeswehr hat das Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“. In allen Schulen unseres Landes muss es „Staatsbürger in der Schule“ geben: Alle Gesetze müssen gelten, und alle müssen ihre Rechte und Pflichten kennen.

ist Meinungs- redakteur der taz Foto: Alexander Janetzko

AMBROS WAIBEL

2. Professionalisierung. Alle Verantwortlichen brauchen eine gesellschaftlich anerkannte Ausbildung; „ein guter Christ“ oder „ein charismatischer Menschenführer“ zu sein reicht nicht. Klare Prozeduren müssen für Problemlösungen geschaffen werden, guter Wille reicht nicht. Hilfe von außen muss man holen können, ohne dafür stigmatisiert zu werden.

3. Dialogkultur. Nur eine ständig gelebte demokratische Kultur gegenseitiger Anerkennung und offenen Austauschs wird den Missbrauch der in Internaten vorhandenen größeren Macht vermeiden helfen. Dies betrifft viele Gruppen: Lehrer/Erzieher; die dahinter stehende Gruppe, die ein Weltbild verkörpert (z. B. den Konvent des Ettaler Klosters); SchülerInnen; ehemalige SchülerInnen; Eltern; ehemalige Eltern. Wenn offene Kommunikation nicht klappt, dann entsteht ein Korpsgeist, der möglichen Missbrauch von erzieherischer Macht deckt.

Werden die genannten Schulen diese Reformen schaffen? Vielleicht ja, vielleicht nein. Aber ich würde ihnen die Chance geben wollen.