Nein, er war kein Gentleman!

Eckhard Dagge war der erste deutsche Box-Weltmeister seit Max Schmeling. Der Holsteiner machte aber auch immer wieder durch seine Alkoholexzesse von sich reden. Zum Tod eines großen Boxers

Die langweiligste Sorte Boxer sind die Gentlemen im Ring. Beim Ex-Weltmeister Eckhard Dagge wäre wohl niemand zu keinem Zeitpunkt seiner wechselhaften Karriere auf die Idee gekommen, ihm mit dieser Beleidigung für jeden echten Faustkämpfer dumm zu kommen. Der gebürtige Holsteiner wurde dafür aber auch nur ganze 58 Jahre alt. Verstarb in der vergangenen Woche im Hospiz „Leuchtfeuer“ auf Sankt Pauli an den Folgen seines Kehlkopfkrebses, der erst im vergangenen Jahr während einer Alkoholentziehung im Universitätsklinikum Eppendorf entdeckt worden war.

Dagge war ein Spätberufener, fing erst im Alter von 20 Jahren als Amateur beim BC Travemünde an. Schon 1972 war er als Olympiateilnehmer im Gespräch, wurde aber durch den späteren Goldmedaillengewinner Dieter Kottysch aus Hamburg verdrängt. Dagge-typische Reaktion: ein derber Vollsuff und dann Übertritt ins Profilager, wo er im Juniormittelgewicht von 32 Kämpfen während seiner Karriere zwischen 1973 und 1981 immerhin 26 gewann und sich gar im Juni 1975 im Kampf gegen Titelträger Elisha Obed von den Bahamas durch technischen K.o. den WM-Titel holte. Im Nachruf des renommierten Internet-Auftritts „www.boxen.com“ heißt es dazu nur lapidar, dass er den Titel im Jahr darauf verlor – übrigens gegen den Italiener Rocco Mattioli. Kein Wort leider davon, dass er den Gürtel immerhin zweimal erfolgreich verteidigte, wie dem internationalen Listing „Derek‘s Champion Boxing“ zu entnehmen ist.

Beim verlorenen Kampf gegen Mattioli habe ich auch persönlich bitteres Lehrgeld zahlen müssen. Ich sah den Kampf damals im Fernsehraum der hannöverschen Gaststätte Max Walloschke (mit der legendären „Athletenplatte!“) gemeinsam mit dem Berufsringer und gelernten Lübecker Marzipanbäcker Hansi Roocks und musste ihm damals zwanzig Mark rüberreichen, weil ich seiner Einschätzung nicht folgen mochte: „Der riecht heute nach Knock out, aber als Opfer.“

In die Ruhmeshalle der Böse-Buben-Zunft hat sich Dagge mit den goldenenen Worten eingetragen: „Viele Weltmeister sind später Alkoholiker geworden. Ich bin der erste Alkoholiker, der Weltmeister wurde!“ Dem Faustkampf verbunden blieb der ewige Fighter am nächstbesten Abgrund noch bis 1994 als Trainer von Dariusz Michalschewski, doch auch hier stellten ihm zufällig im „Goldenen Handschuh“, in der „Ritze“ oder auch in Restaurants vom Besseren herumstehende Drinks ein Bein und so kickte Wilfried Sauerland ihn raus aus dem Universum-Boxstall.

Vermutlich spielt Eckhard Dagge inzwischen schon auf Wolke Sieben Skat mit Peter „De Aap“ Müller, Herbert Nuernberg und anderen Athleten, die sich auch nicht als „Gentlemen“ verhöhnen lassen wollten. Ulrich Reineking