Spektakuläres Sakrileg

Unter Theologen gilt als sicher: Ein 1.700 Jahre altes, authentisches Papyrus erzählt das „Judas-Evangelium“

Seit er Jesus Christus verraten haben soll, im Garten Gethsemane an die römischen Häscher für ein Schmiergeld von „30 Silberlingen“, gilt Judas Ischariot im christlichen Kulturkreis als das Böse schlechthin. Vorgestern nun hat die National Geographic Society in Washington ein antikes Schriftstück veröffentlicht, das nicht nur den Judas rehabilitieren, sondern die Theologie insgesamt zu einer radikalen Umdeutung seiner Rolle nötigen könnte.

In dem brisanten Papyrus, der schon in den 70er-Jahren in Ägypten entdeckt und dessen enormes Alter von 1.700 Jahren jetzt mit naturwissenschaftlichen Methoden bestätigt wurde, wird Judas nicht als Verräter, sondern als Jesu treuester und verständigster Jünger dargestellt – der seinen Herren auf dessen eigenen Wunsch verrät, damit Gottes Wille sich erfüllen möge. Im Text selbst, einer frühen Kopie des „Judas-Evangeliums“ aus vermutlich griechischer in die koptische Sprache, sagt Jesus zu seinem Jünger Judas: „Du wirst sie alle übertreffen. Denn du wirst den Menschen opfern, der mich kleidet.“ Auch Judas’ künftige Rolle als meistgehasster Mann der Christenheit wird hier von Jesus antizipiert: „Du wirst verflucht werden.“

Tatsächlich warnte schon 180 nach Christus der Bischof von Lyon in seinem Werk „Gegen die Häresie“ vor der Lektüre des Textes. Die Evangelien nach Markus, Matthäus, Lukas und Johannes waren damals für das Neue Testament ausgewählt worden, das „Judas-Evangelium“ passte – wie viele anderen frühchristlichen Lehren – nicht in den kirchlich festgelegten Kanon dieser aufstrebenden jüdischen Sekte namens Christentum. FRA