: Faschistische „Wölfe“ kapern Unterricht
Ein Türkischlehrer aus Köln ruft um Hilfe. Türkisch-nationalistisch eingestellte Schüler provozieren im Unterricht mit antisemitischen Fragen. Die Lehrergewerkschaft berichtet von ähnlichen Fällen: Lehrer werden bedroht und angegriffen
AUS KÖLN PASCAL BEUCKER
Hüseyin Alpay* ist fassungslos. Seit 28 Jahren lebt der 57-Jährige in der Bundesrepublik, seit 1979 unterrichtet er an einer Kölner Gesamtschule. Doch das, was Alpay in diesem Schuljahr mitmacht, hat er bisher noch nicht erlebt. Immer wieder, sagt Alpay, sehe er sich in seinem Unterricht in einer neunten Klasse verbalen Attacken von einer Gruppe türkisch-nationalistisch eingestellter Jungen ausgesetzt. „Die sehen in mir offenbar den personifizierten Erzfeind.“
Die betreffenden Schüler versuchen offensichtlich, den türkischen Sprachunterricht zur Propagierung einer nationalistischen und rassistischen Weltsicht zu missbrauchen. Der Lehrer berichtet, die Schüler wollten ihn in „Diskussionen“ verwickeln mit Fragen wie: „Wenn ein Krieg ausbricht, kehren Sie in die Türkei zurück, kämpfen Sie an der Front für Ihre Heimat?“ Oder auch: „Haben die Juden die Weltherrschaft, und wie denken Sie über deren Weltverschwörung?“
Dazu kämen auf Tische und Bänke geschmierte Parolen und Symbole der faschistischen „Grauen Wölfe“. In einem Brief wendet sich Alpay ans Lehrerkollegium der Schule. Die Lage belastete ihn und greife ihn gesundheitlich an. Er könne „dem Druck kaum standhalten“, brauche „Unterstützung und Hilfe“.
Von ähnlichen Fällen berichten auch andere Kölner Schulen. So wurde ein Lehrer als Kommunist und PKK-Mitglied beschimpft, weil er sich geweigert hatte, mit den Schülern einen Eid auf die Türkei zu sprechen oder zu Beginn des Unterrichts die türkische Nationalhymne zu singen. An einer Realschule schickte der Rektor einen Schüler nach Hause, nachdem der sich die drei Halbmonde, das Zeichen der „Partei der nationalistischen Bewegung“ MHP, auf den Kopf hatte frisieren lassen. Gerne als Halsschmuck oder Gürtelschnalle wird auch der „Bozkurt“ getragen, der heulende Wolf der MHP-Jugendorganisation. Beliebt sei auch der dazugehörige „Graue-Wolf-Gruß“: das Spreizen des kleinen Fingers und des Zeigefingers für die Ohren und das Aufeinanderlegen des Mittel- und Ringfingers auf den Daumen für die Schnauze.
Der Lehrergewerkschaft GEW in Köln liegen mittlerweile einige Berichte von Lehrern mehrerer Schulen über „Provokationen unterschiedlicher Art“ vor. Es seien vor allem männliche Jugendliche, die sich offen zur verqueren Ideologie aus islamischem Türkentum, Antisemitismus, Rassismus und Antikommunismus der MHP bekennen würden. Sie würden „offensichtlich von den Verantwortlichen bestimmter Moscheen und von politischen Vereinigungen geschult“, heißt es in der Mitgliederzeitung der Kölner GEW. Türkischstämmige Schüler, aber auch Lehrer würden „zum Teil massiv bedroht, wenn sie nicht mitmachen“. Es scheine sich „um gezielte Aktionen“ zu handeln. Das Ziel: „Die Verfestigung einer türkisch-islamischen Parallelgesellschaft“.
Dass türkische Nationalisten Schulen als Agitations- und Rekrutierungsfelder entdeckt haben, beschäftigt inzwischen die Polizei. Aus Staatsschutzkreisen heißt es, rund zehn Kölner Schulen – überwiegend Hauptschulen – gälten als gefährdet.
Allerdings handelt es sich nicht nur um ein lokales Problem. Aus dem Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und verschiedenen Städten des Ruhrgebiets gibt es ähnliche Berichte. So machte schon im Februar die GEW Gelsenkirchen auf Fälle an einer Gesamtschule aufmerksam. Zwei Lehrkräfte seien aufgrund ihres „nicht genehmen“ Unterrichts attackiert worden. So soll ein Erzieher als „Jude“ beschimpft und mit Stinkbomben eingedeckt worden sein, weil er im Unterricht die Evolutionstheorie behandelt habe. Er habe inzwischen seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand beantragt. Einer anderen Lehrerin soll wegen ihres Sexualkundeunterrichts auf dem Schulparkplatz von Schulfremden aufgelauert worden sein, die sie bedroht, bespuckt und tätlich angegriffen hätten.
Der Kölner Erziehungswissenschaftler Kemal Bozay beobachtet seit Jahren eine zunehmende Reislamisierung und Renationalisierung bei Jugendlichen türkischer Herkunft. Dies sei auch eine Reaktion auf Ausgrenzungserfahrungen, ungenügende Bildungschancen und miserable berufliche Perspektiven. „Viele Jugendliche haben ihr Vertrauen in die bundesdeutsche Gesellschaft verloren“, sagt Bozay. Gerade die Schulen müssten sich dieser Herausforderung stellen. Zu lange sei weggeschaut worden.
* Name von der Redaktion geändert