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Archiv-Artikel

Metaphern einer existenziellen Weltaneignung

NEO RAUCH Zum 50. Geburtstag des Malers: In Leipzig und München wurde die Doppelausstellung „Begleiter“ eröffnet

Das „unbewusste Treibgut“ mit „stählerner Faust“ zu ordnen, klingt nach Ernst Jünger, nicht nach André Breton

VON MAIK SCHLÜTER

Im Pressetext der aktuellen Doppelausstellung „Begleiter“ des 1960 in Leipzig geborenen Malers Neo Rauch heißt es, dass der Künstler sich in einer Tradition mit Beckmann, Bacon, Beuys und Baselitz sieht. Hat man diese erstaunliche Reihung gewählt, weil alle vier Namen mit B beginnen? Im nächsten Satz wird darauf hingewiesen, dass eine deutliche Beziehung zum Surrealismus zu erkennen sei.

Worte, die zeigen, wie im Zuge der allgemeinen Empathie für das Werk von Neo Rauch der zwanghafte Versuch unternommen wird, den Künstler als wichtige kunstgeschichtliche Größe zu verorten und historische Bezüge waghalsig zu dehnen. Rauch, der sein Atelier als Werkstatt bezeichnet, bietet technoid-mechanische Wortgebilde als Erklärungen zu seinen Bildern an und spricht von Füllständen und Schleusenkammern des Bewusstseins, vom Ausfließen und Gerinnen, von der bildnerischen Gesamtapparatur, von ausgefransten Partien und perforierten Segmenten. Und davon, dass die Malerei für ihn ein kreatürlicher Prozess der Weltaneignung sei.

Der Maler als Genie

Unlängst konnte man in einem Interview mit Rauch lesen, dass es für seine Kunstvorstellung wichtig sei, sich vom Zeitgeist fernzuhalten, da ansonsten die Gefahr bestünde, mit diesem zusammen entsorgt zu werden. Es gäbe eine Verunreinigung der Sprache und viel minderwertiges Material, konnte man den Künstler während der Pressekonferenz in Leipzig sagen hören. Rauch geht es um Zeitlosigkeit und einen originären Geniebegriff, der genauso verstaubt und elitär erscheint wie seine Forderung, „den Fernseher zu zerhacken, um nicht vom visuellen Müll der Gegenwart beschmutzt zu werden“.

Zu dieser Form von Anmaßung und Einfalt passt es, wenn er davon träumt, eine Malerakademie im Wald zu betreiben, „in der Sonderlinge frei von den Miserabilitäten unserer Zeit arbeiten können“. Mit dieser Haltung endet man zwangsläufig in einer Welt, die andere Kunstformen und Lebenswirklichkeiten diskreditiert. Kunst wird damit zur ideologischen Prämisse.

In der Rauch’schen Wort- und Bildrhetorik werden private Bilder als komplexe Vorgänge des Unbewussten mit Hang zur Metaphysik beschrieben. Wie es überhaupt ständig darum geht, die Metaphern einer existenziellen Weltaneignung anzuwenden und die Malerei als viriles und isoliertes Unternehmen zu beschreiben: weitgehend absichtslos, ein Prozess konzentrierten Durchströmens. Dem surrealistischen Prinzip der automatischen und unbewussten Äußerung widersteht der Maler nach eigener Aussage. Er sagt, es gäbe ein Aussonderungsverfahren, und es bestehe der Wunsch nach Dechiffrierbarkeit. Dann wieder sind ihm jene Betrachter die willkommensten, die seine Bilder vorrangig als Malerei wahrnehmen und einer Erzählstruktur nur bei Bedarf oder unbewusst nachspüren. Dass die Analyse des Unbewussten ein rationaler Prozess der Aussprache und Bewertung ist, interessiert ihn nicht. Was zählt, ist die wunderliche Attitüde des Genialen.

Es ist diese sprachliche Überformung des Werks, die ermüdet. Schließlich umfasst das Oeuvre von Rauch in den letzten zwanzig Jahren einige nennenswerte formale Sprünge, die von frühen Abstraktionen über teilweise grelle Figurationen, die gleichermaßen Comic und sozialistischen Realismus konterkarierten, bis hin zu den opulenten Bildern der letzten Jahre reichen. Rauch sagt, was nötig ist: Illustrative Peinlichkeit, Philosophiekitsch und spirituellen Kitsch gilt es zu vermeiden. In seinem Fall am gelungensten durch Elemente der Werbegrafik, die angewandte Formen mit ins Spiel bringt, und durch die Bezugnahme auf Comics, die Bilder, Worte und Erzählstruktur ganz anders sortieren, als man das auf einer Leinwand machen kann.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die frühen Arbeiten in der Ausstellung überzeugen. Bilder, die weniger opulent, dafür aber diffizil und eigenwillig komponiert sind und auf denen surreale Momente, in denen Zeit und Raumkontinuitäten aufgehoben sind, Erinnerungsfragmente, Worte und Leerstellen, Raumandeutungen und eine reduzierte Farbpalette, eine zum Teil beklemmende Atmosphäre von Undurchdringlichkeit, Haltlosigkeit und Manipulation schaffen. Man hat das Gefühl, dass Rauch in diesen Bildern mit subtiler Ironie und ohne Zynismus den eigenen biografischen Rahmen in persönlichen und geschichtlichen Bildern absteckt.

Für den Surrealismus zu konform

Diese vielschichtige Vorgehensweise wird relativiert durch die langweilige Symbolik der neueren Produktion die sich der immer gleichen Riesen und Gnome, Bartträger und gallertartigen Gebilde, Vorhänge und Wälder, Hangar, Herrenhäuser, Abstellkammern und technisch-militärischen Geräte bedient, die alle in sinistren Landschaften herumstehen und von denen ihr Erschaffer sagt, dass sie nichts bedeuten sollen.

Gleichzeitig sind sie für ihn die Produkte kollektiver Ströme, die durch das Nadelöhr der künstlerischen Subjektivität geführt wurden. Man fragt sich, auf welchem Markt der Sinnzuschreibung diese Produkte verkauft werden. Wichtig scheint in jedem Fall das Label der Leipziger Figuration zu sein. Über die figürliche Malerei, für die die Leipziger Schule bekannt ist, sagt Rauch, sie sei das Nonplusultra, die höchste Herausforderung für einen Maler. Am besten sind seine Bilder aber, wenn er diesem selbst auferlegten Zwang nicht folgt und in ein spannungsvolles Verhältnis von Abstraktion und Konkretem, Raum und Fläche, Figur und Grund, Fertigem und Unfertigem eintritt und keine großen Formate mit Bühnen und dunklen Landschaften malt.

In seinem Buch „Schilfland –Works on Paper“ breitet Rauch in Skizzen und kleinen Formaten sein Repertoire als Zeichner aus. Hier hat man nicht das ungute Gefühl, dass die Arbeiten mit den Metaphern des Kreatürlichen, Naturgesetzlichen, Kämpfenden, Seinsmäßigen oder Unabwendbaren erklärt werden müssen. Es geht feiner, schneller, komplexer und formal geschliffener zu als in den statischen Riesenbildern der jüngsten Zeit.

Neo Rauchs Geniebegriff ist so verstaubt wie seine Forderung, „den Fernseher zu zerhacken“

Aber in „Schilfland“ kommt leider – wenn auch nur als kurzer Vergleich – ein wiederkehrender Tiefpunkt der Rauch-Kunstrhetorik zum Ausdruck: Neo Rauchs Vorliebe für Ernst Jünger, den er gern als väterlichen Freund bezeichnet. Dessen antidemokratische Haltung und frühe Glorifizierung von Kampf, Tod und militärischem Heldentum, seine verkorkste Naturphilosophie und sein verächtlicher Individualitätsbegriff lassen Jünger aber nur bedingt zitierfähig erscheinen. Am besten verfährt man, wenn man diese Kapitel bei der Betrachtung des Werks von Neo Rauch ausblendet und die Sprachkapriolen des Künstlers überliest.

Dem Künstler geht es um die Zeitlosigkeit des Werks, um „ewig Gültiges“, wie er selbst sagt. Die Debatte müsste aber viel zeitgemäßer um die Frage nach dem Autor, die Frage nach dem Verhältnis von Moderne und Postmoderne, ideologischen Untiefen, den beschreibbaren Prozessen zur Herstellung von Kunst und ihrer gesellschaftlichen Rolle, nach der Zeitgenossenschaft des Mediums und der Sujets und schließlich nach der kunstgeschichtlichen Verortung kreisen.

Viele von Rauchs Bezügen sind schwelgerisch und historisch ungenau. Für den Surrealismus ist die ganze Arbeit zu beherrscht, ja geradezu zwanghaft kontrolliert. Die Malerei von Rauch ist in diesem Sinne viel zu konform: Das „unbewusste Treibgut“ mit „stählerner Faust“ zu ordnen, klingt nach Ernst Jünger, nicht nach André Breton.

Das surreale Moment allein auf den unscharfen Begriff des Unbewussten zu reduzieren, reicht eben nicht. Genauso wenig, wie es nicht reicht, nur das Subjektive zu betonen und die figürliche Malerei als Leitmedium auszugeben, um sich in die oben genannte schmeichelhafte Reihung der Künstler des 20. Jahrhunderts einreihen zu können. Dieser Diskurs spricht viel über die Wunderkammer des Künstlers, über vermeintlich konservative und zeitlose Grundprämissen der Kunstproduktion und viel zu wenig über die Politik der Kunst und der gesellschaftlichen Funktionalisierung des Subjektiven.

Das Konzept der aktuellen Ausstellung lautet einfach: alles von 1993 bis 2010. Von kuratorischer Finesse keine Spur. Etwas Neues über das Werk erfährt man nicht. Was schade ist, denn jenseits der großen Gesten und der skurrilen Wortgebilde, gleichsam im Untergrund des Werks, gäbe es spannende formale und inhaltliche Entdeckungen zu machen.

■  Neo Rauch: „Begleiter“, Museum der bildenden Künste Leipzig bis 15. 8., Pinakothek der Moderne München bis 15. 8.