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Archiv-Artikel

Rechts in Rheinsberg

AUS RHEINSBERG ERIK HEIER

Im Zentrum von Rheinsberg wühlen die Bagger. Ein Schild kündet von der „Altstadtsanierung Rheinsberg“. Die Touristensaison geht bald los. 300.000 Besucher pro Jahr. Aus den Baggerkrallen quillt Sand. Dunkler Sand, kein brauner Sumpf. Das nicht.

Rheinsberg ist pittoresk, ein brandenburgisches Kleinod. Das Wasserschloss Friedrichs des Großen am Grienericksee, Tucholsky, die Kammeroper unter freiem Himmel. Jede Menge Reiseführerargumente. Eigentlich. Aber jetzt diese Schlagzeilen. Sechs rechtsextreme Anschläge auf ausländische Geschäfte und Restaurants binnen weniger Wochen. „Brauner Nachwuchs“, schreiben die Zeitungen, „trügerisches Idyll“ Oder eben: „Brauner Sumpf“. Heute wollen die Rheinsberger demonstrieren gegen den Nazi-Spuk. Und gegen das öffentliche Bild von Rheinsberg, das derzeit ziemlich im Eimer ist.

Steffen* ist ein 16-jähriger Schlacks. Sein Plauderton klingt schnodderig, unaufgeregt, eher sarkastisch. Er würde gern eine Rede halten auf dieser Demo. Die wurde ja unter anderem von seine Schule organisiert, der Heinrich-Rau-Schule. Gerade lässt er sich aber erst mal einen Döner machen am „Rheinsberger Grillhaus“, einen Steinwurf von der Schule entfernt.

Man grüßt sich manchmal

Sein Rucksack verrät, was er von den Rechten hält. Elf Anstecker, fünf Aufnäher, etwa: „Gegen Nazis – join your local antifa“. Die lokale Antifa in Rheinsberg ist überschaubar, vielleicht ein halbes Dutzend Jugendliche bei den „Linken Jugendaktivisten Rheinsberg“. In Rheinsberg ist eigentlich alles überschaubar. 9.000 Einwohner, jeder kennt jeden, Steffen natürlich auch die Jungs mit der braunen Gesinnung. Man ist ja zusammen aufgewachsen, grüßt sich sogar manchmal. „Einer ist gerade im Bus an uns vorbeigefahren“, sagt er. „Der hat ziemlich böse rübergeguckt.“

Das Medienecho findet Steffen „etwas übertrieben“, aber dennoch wichtig. Nur eines wundert ihn: Dass es erst jetzt kommt: „Der Ärger mit den Faschos war vor zwei, drei Jahren viel schlimmer.“ Die Angst ist nicht mehr so groß, aber weg ist sie noch lange nicht. Die Angst, von Skins einfach eine reingehauen zu bekommen. Die Angst, am berüchtigten Triangelplatz nahe dem Schloss von einer Bierflasche getroffen zu werden. Seit Jahren hängt dort eine Handvoll zumindest rechtsgesinnter Jugendliche abends zum Gemeinschaftssuff auf den Bänken ab. Die suchen nur zu gerne Streit.

„In die Innenstadt gehe ich abends sowieso nicht mehr“, sagt Steffen achselzuckend. Es ist, wie es ist. Schlägereien mit den „Faschos“ gibt es immer mal. Nichts Besonderes. Vor allem, wenn gesoffen wird. Bei Dorffesten etwa im nahen Dorf Zechlinerhütte, oder beim Oktoberfest in Rheinsberg. Da gehe gelegentlich die Post ab. Pöbeleien, mindestens, von beiden Seiten. Nicht einmal Steffen aber würde Rheinsberg deshalb ein „braunes Loch“ nennen. Er selbst geht Ärger aus dem Weg. „Weil ich schon zu viel mitgekriegt habe.“

Im Sommer hat er auf einer Baustelle gejobbt – mit einem „stadtbekannten Nazi, der sich zur Ruhe gesetzt hat“, sagt Steffen. „Mit den konnte man sogar normal reden. Außer über politische Sachen.“

An einem Laternenpfahl nahe dem Schloss klebt ein Zettel mit dem Gesicht von Rudolf Heß. „Märtyrer“ steht darunter. An der nächsten noch einer. In der Innenstadt gibt es kaum eine Laterne ohne solche Aufkleber. Manchmal sind sie zerkratzt. Oder überklebt, von den „Spuckis“ der Linken.

Alexandra Wolf hat ein ganzes Album mit rechtsextremen Aufklebern, Ordnungsamt und Polizei haben Kopien davon bekommen. Zwei Jahre Sammelarbeit, rund 40 Stück. Einmal sei einer der Jugendlichen, die diese Klebezettel wieder abreißen wollten, von einem Rechten bedroht worden, erzählt sie, „tagsüber, nicht abends“. Der Jugendliche solle die Dinger ja hängen lassen. Und wörtlich: „Weißt du, wie viel Mühe es macht, die alle aufzukleben?“

Viereinhalb Jahre lang war die 34-Jährige bei der Stadt als Jugendpflegerin angestellt. Schon bevor sie im März 2001 ihre Arbeit aufnahm, hatte die Stadt immer mal Probleme mit Rechtsradikalen. Im vergangenen Jahr wurde ihre Stelle von der Stadtverordnetenversammlung jedoch gestrichen. Die Stadt ist chronisch pleite. Es gab Proteste, Leserbriefe in den Lokalzeitungen, ein Bürgerbegehren. Umsonst. Ende März wurde ihr fristgerecht gekündigt. „Es tat weh, alles einzustampfen.“

Steffen versteht immer noch nicht, warum die Stadt ausgerechnet diese Stelle streichen musste. Er kaut auf seinem Dönerbrot. Der Dönerstand ist neu und lindgrün, er gehört Mehmet Cimendag. Der junge Kurde ist so etwas wie ein Symbol für die rechten Umtriebe geworden. Darauf hätte er lieber verzichtet.

An seinem vorherigen Imbisswagen war viermal binnen zwei Jahren Feuer gelegt worden. Vor gut einem Jahr brannte er vollständig ab. Die Täter sind bis heute nicht ermittelt. Die Rheinsberger haben für seinen neuen Stand gespendet, das Brandenburger Innenministerium auch, insgesamt einige tausend Euro. Kurz vor der Neueröffnung im Dezember zerdepperten ihm Unbekannte schon wieder die Leuchtreklame. Neulich hat Cimendag mit asiatischen Gewerbetreibenden darüber gesprochen, eine Ausländerorganisation in Rheinsberg zu gründen. „Ich weiß nicht, was dabei herauskommt“, sagt er. „Aber man muss doch etwas tun.“ In Rheinsberg leben 47 Ausländer.

Verstärkte Polizeipräsenz

„Die Struktur der Faschos hat sich gewandelt“, glaubt Steffen. Früher seien die meisten älter gewesen, bis zu 30 Jahren. Bei der Polizei spricht man jetzt von Rechtsextremen zwischen 15 und 21 Jahren. 23 Straftaten mit rechtem Hintergrund verzeichnet die Statistik für 2005, im Jahr davor waren es 6. Vor allem Propaganda-Delikte im Suff, „Sieg heil“-, „Ausländer raus“-Rufe und dergleichen. Die Polizei hat ihre Kräfte in Rheinsberg verstärkt, auch mit Zivilbeamten, auf bis zu 20. Vor allem am Wochenende, spätabends.

Anfang April hat ein an die Öffentlichkeit gelangter interner Vermerk des Verfassungsschutzes die Stadt aufgeschreckt. Der hat drei rechtsextreme Gruppen in Rheinsberg genannt: „Freie Nationalisten Rheinsberg“, „Heimatfront Ostprignitz-Ruppin“ und „Division 18 Rheinsberg“. Zumindest sind diese Namen entweder auf Aufklebern aufgetaucht oder auf T-Shirts, die die Polizei bei Durchsuchungen in vier Rheinsberger Wohnungen gefunden hat. Eine strukturierte rechte Organisation sei bislang jedoch nicht zu erkennen, sagt Polizeisprecher Rudi Sonntag. Der „harte Kern“ umfasse rund ein Dutzend Personen.

Einzelne Durchgeknallte oder doch eine massive rechte Szene? Steffen hat von den Gruppen noch nichts gehört. Dass nun massiv Ausländer bedroht werden, ist auch für ihn neu: „Die Rechten kennen jetzt einfach keine Schmerzgrenze mehr.“

Zum Beispiel Markus M. Der 19-Jährige wurde von der Polizei als einer der vier Täter ermittelt, die Ende Februar kurz vor Mitternacht die Scheiben eines Asia-Imbisses und eines schräg gegenüber liegenden asiatischen Gemüsemarkts zerdroschen. In derselben Nacht randalierten mutmaßlich auch die vier in zwei weiteren Läden von Ausländern. Der Haftrichter setzte M. wieder auf freien Fuß, die Neuruppiner Staatsanwaltschaft legte vergeblich Beschwerde dagegen ein.

„Unser Ziel ist eine hohe Haftstrafe, durchaus bei einem Jahr“, sagt die Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper. Nach Erwachsenen-, nicht nach Jugendstrafrecht. „Und das ziemlich bald.“ Nach den vier Festnahmen im Februar hat die Staatsanwaltschaft die erfolglosen Ermittlungen zum abgefackelten Döner-Wagen wieder aufgenommen. Zusammenhänge werden nicht ausgeschlossen, heißt es nun.

„Schlimmere Konsorten“

Steffen kennt Markus M. noch aus der Schule. Der habe vor einem Jahr auf dem Schulhof eine CD mit rechtsextremen Liedern verteilt, sagt er. „Aber es gab noch viel schlimmere Konsorten.“ Sonnabend vor einer Woche soll sich Markus M. mit seinen Kumpels bei einem Rockkonzert in Rheinsberg vor der Tür mit Linken geprügelt haben. Steffen sagt: „Da flogen Bierkrüge. Halbe-Liter-Krüge, wenn du’s genau wissen willst.“

Man kann nicht sagen, dass die Rheinsberger die Augen verschließen würden vor den rechten Tendenzen, schon im vergangenen Jahr wurde dagegen demonstriert. Aber es dauerte bis zum 30. März, bis sich unter Vorsitz des Bürgermeisters Manfred Richter von der SPD ein so genannter „Steuerkreis für Sicherheitsfragen“ mit den Ortsbürgermeistern, der Schuldirektorin, Unternehmern, Jugendlichen und Senioren zusammenfand, um über die Probleme zu reden. Nicht nur die Übergriffe auf Ausländer, auch Graffiti, Vandalismus. Bürgermeister Richter bleibt realistisch: „Ich erwarte davon keine Wunder“, sagt er. „Aber Vorschläge zur Besserung.“

Steffen winkt ab. Mal ’ne Demo, jetzt dieser Steuerkreis, na schön: „Aber hier wird doch nichts langfristig gemacht.“ Und von der Polizei erwarte er wenig. Als Linker wähnt man sich von denen eher verfolgt als beschützt. Und Angst vor den „Faschos“? Nicht jetzt jedenfalls, bei Tage.

* Name geändert