piwik no script img

Archiv-Artikel

Nur die Toten sehen das Ende des Krieges

METAL Acrassicauda galt als einzige Heavy-Metal-Band im Irak. Nach der Bombardierung ihres Proberaums und der Flucht in die USA hat sie ihr erstes Album veröffentlicht

Die Band sitzt in Syrien in einer beklemmend engen Wohnung und sieht sich die Bilder von ihrem alten Probe-raum an, der längst von einer Rakete zerstört ist. Um die Miete zahlen zu können, müssen sie ihre Instrumente verkaufen

VON CHRISTOPH GURK

Märchen brauchen ein Ende, einen Punkt, an dem alles perfekt ist. Der Drache ist tot, der böse Zauberer besiegt, die Liebenden liegen sich in den Armen und der gute Prinz wird endlich zum König gekrönt. Genau hier muss man aufhören, auf dem Höhepunkt, der Klimax, denn alles, was danach kommt, bedroht das Happy End.

Bei Acrassicauda ist es der Moment, als Tony die Gitarre bekommt. Sie ist tiefschwarz, mit Zacken, und in der Ecke steht „Welcome to America“, geschrieben von James Hetfield, Sänger von Metallica und Heavy-Metal-Halbgott. Tony ist der Gitarrist von Acrassicauda, einer irakischen Heavy-Metal-Band, oder besser: der irakischen Heavy Metal Band. Von der Begegnung mit Hetfield gibt es ein Video. Tony steht wie gelähmt vor ihm, mit offenem Mund und riesigen Augen, weil er nicht glauben kann, was ihm passiert. Genau hier müsste man anhalten, denn hier erfüllt sich der Traum, den vier Jungs vor mehr als neun Jahren in einem Land mit einem bösen Herrscher hatten.

Heavy Metal. Berühmt werden. Raus aus dem Irak. Weg, nach Amerika. Doch das Leben geht weiter und die Geschichte von Acrassicauda auch. Und im Moment sieht es wieder so aus, als sei das Happy End in weite Ferne gerückt – obwohl die Mitglieder von Acrassicauda längst in Amerika leben. Und obwohl sie vor ein paar Wochen ihre erste CD herausgebracht haben.

Im Jahr 2001, als alles begann, herrschte im Irak noch Saddam Hussein. Es war Frieden, auch wenn die USA und Großbritannien immer wieder Luftangriffe flogen. Acrassicauda waren damals noch Teenager, stundenlang schlossen sie sich im Hinterzimmer eines Ladens in Bagdad ein und spielten Heavy Metal. Damals nicht die übliche Musik für Jugendliche im Irak, doch die Globalisierung der Jugendbewegungen macht eben auch nicht vor Diktaturen halt. Ein paar Konzerte können Acrassicauda noch spielen, dann kommt der Krieg. Am 7. April wird Saddam gestürzt, der Irak ist frei und gleichzeitig ein besetztes Land. Dann beginnt das Märchen.

Amerikanische Journalisten werden auf Acrassicauda aufmerksam. Das Trendkonglomerat Vice, das sich in einem Magazin und in Dokumentationen auf möglichst abstruse „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“-Themen spezialisiert hat, bringt eine Story über sie. Danach nehmen sich zwei Vice-Journalisten der Band an, sie organisieren ein Konzert in Bagdad und begleiten Acrassicauda über mehrere Jahre mit der Kamera. Ihr Film „Heavy Metal in Baghdad“ erzählt davon, wie der Krieg es unmöglich macht, zu proben, und dass Acrassicauda keine langen Haare und Metal-T-Shirts tragen können, weil diese als westlich und satanistisch gelten. Der Film endet in Syrien, wohin die Mitglieder geflohen sind. Die Band sitzt in einer beklemmend engen Wohnung und sieht sich die Bilder von ihrem alten Proberaum an, der längst von einer Scut-Rakete zerstört ist. 2007 läuft „Heavy Metal in Baghdad“ erstmals auf dem Toronto Filmfestival. Die Kritiken sind nicht schlecht, 2008 kommt er auf die Berlinale.

Während die beiden Regisseure Suroosh Alvi und Eddy Moretti über rote Teppiche gehen, sitzen Acrassicauda fest. Sie bekommen keine Visa, um zur Premiere zu fliegen oder zu einem der Filmfestivals. Um die Miete zahlen zu können, müssen sie ihre Instrumente verkaufen. Syrien will unterdessen die Massen von irakischen Flüchtlingen abschieben, Acrassicauda wollen und können nicht zurück, dank BBC und al-Dschasira sind sie längst auch in der arabischen Welt und ihrer Heimat bekannt geworden – und damit zum Ziel von Fundamentalisten. Die vier Musiker versuchen also, Visa für andere Länder zu bekommen, fliehen in die Türkei und schlagen sich in Istanbul durch. Das Vice-Magazin sammelt Spenden und unterstützt die Band finanziell. Dann, 2008, gibt die amerikanische Regierung den Mitgliedern von Acrassicauda den Flüchtlingsstatus. Im Januar 2009 erreicht das letzte Mitglied die USA. Die Flucht ist vorbei, das Ziel erreicht, noch in der gleichen Woche treffen sie Hetfield, der ihnen seine Gitarre schenkt.

Willkommen in Amerika. Und willkommen in der Realität. Denn früher waren Acrassicauda die einzige Metal Band des Irak, in Amerika aber sind sie vor allem Kriegsflüchtlinge. Die Mitglieder arbeiten als Kellner, sie leben beengt, haben kaum Geld, dafür aber mehrere Jobs und kaum Zeit zum Proben. Nach Rockstarleben klingt das nicht, eher nach Enttäuschung und Ernüchterung.

Heavy Metal – nicht die übliche Musik für junge Leute im Irak. Aber die Globalisierung von Jugendbewegungen macht eben auch nicht vor Diktaturen halt. Ein paar Konzerte konnten sie noch spielen. Dann kam der Krieg

Acrassicauda spielen mittlerweile wieder Konzerte, und nach mehr als einem Jahr in den USA erschien im März „Only the Dead See the End of the War“, die erste EP der Band. Vier Songs, eingespielt in guten Tonstudios, mit erstklassigen Instrumenten, gesponsert von den Herstellern. Bei der Produktion halfen Metal-Größen wie Alex Skolnick von Testament, einer der ältesten Bands der Szene. Trotzdem ist das kein Happy End, sosehr man es der Band auch wünscht. „Only the Dead See the End of the War“ ist technisch sauber eingespielt, und die Songs haben alles, was Thrash Metal braucht. Es gibt Double-Bass-Gewitter, kreischende Soli, stampfende Mosh-Parts und Gitarrentapping. Ganz deutlich merkt man die Vorbilder, allen voran Metallica, aber auch Sepultura, Pantera oder Machine Head. Oft sind Acrassicauda aber eben viel zu nah an ihnen dran, es gibt kaum Neues außer ein paar arabischen Trommeln, die EP klingt angestaubt, und auch die Stimme von Sänger Faisal ist viel zu dünn.

Credibility ist bei Heavy Metal wichtig, und während die meisten Bands des Genres vom Krieg und von Schlachten singen, ohne jemals auch nur in einem Krisengebiet gewesen zu sein, kommen Acrassicauda direkt aus der Hölle, von einem der gefährlichsten Orte der Welt. Ihre Texte handeln zwar davon, einmal heißt es zum Beispiel: „They stole my land, they stole my home, they ripped my flesh, they stripped my bone“. Während aber Bands wie System Of A Down gegen den Irakkrieg ansingen, bleiben Acrassicauda meist unpolitisch, es gibt nur Klagen, keine Anklagen.

Die meisten werden sich „Only the Dead See the End of the War“ deshalb nicht wegen der Musik oder der Botschaft kaufen, sondern wegen der Geschichte der Band. Die Frage ist aber, ob die auch noch im nächsten Jahr interessant ist. Wenn nicht, wären Acrassicauda wieder nur Kriegsflüchtlinge mit Kellnerjobs. Und das Märchen wäre vorbei, ohne Happy End.