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Archiv-Artikel

Lukrative Telefonanrufe

Bremen ist die Hochburg der „Disease Management Programme“ zur optimierten Versorgung chronisch Kranker. Die Patienten profitieren davon aber kaum – umso mehr die Krankenkassen

Krankenkassen haben ein Herz aus Gold. Sie bieten Chronikern spezielle Programme an, mit denen Patienten die bestmögliche Versorgung versprochen wird. Bremen ist bundesweit Spitzenreiter was „Disease Management“ – zu Deutsch: Krankheitsmanagement – betrifft. Jetzt ruft die Ärztevereinigung Hartmannbund zum Boykott dieser Programme auf.

Mit 16.000 Versicherten sind in Bremen im Verhältnis fast doppelt so viele Patienten in die Programme eingeschrieben wie in Hamburg. Das ist kein Wunder, schließlich sind an der Weser auch die meisten in Disease Management geschulten Ärzte ansässig.

Auf den ersten Blick scheinen die Programme durchaus sinnvoll: Dadurch sollen die Kosten von Krankenkassen mit erhöhtem Anteil chronisch Kranker unter ihren Versicherten ausgeglichen werden. Außerdem können durch standardisierte Therapien Langzeitschäden vermieden werden. Ein Blick in den Qualitätsbericht der Handeskrankenkasse (HKK) verrät, dass innerhalb kürzester Zeit erstaunliche Erfolge durch „Disease Management Programme“ (DMP) erzielt werden konnten: Die Langzeitschäden von Diabetikern, beispielsweise Augenerkrankungen oder Nierenleiden, konnten demnach innerhalb nur eines Jahres um ein Drittel gesenkt werden.

„Das ist Humbug“, meint der Bremer Diabetologe Harm Hammer. Da Folgeerkrankungen durch Diabetes erst nach 10 bis 15 Jahren auftreten, bräuchte man denselben Zeitraum, um repräsentative Ergebnisse einer derartigen Studie vorlegen zu können. Hat da etwa jemand an den Zahlen gedreht?

Möglicherweise nicht, denn in die Statistiken der Krankenkassen fliesst auch eine große Anzahl blinder Passagiere ein. Weil Mediziner für jeden in ein Chronikerprogramm eingeschriebenen Patienten eine erhöhte Prämie erhalten, haben einzelne Hausärzte kurzerhand alle Patienten als DMP-Diabetiker gemeldet, so Hammer. Dadurch könnten sie bis zu 20.000 Euro pro Quartal kassieren. Während die Patienten ahnungslos sind, ignorieren die Kassen den irritierenden Zuwachs an Neuerkrankten gern, denn: Für jeden Diabetiker gibt es 1.300 Euro, eine Brustkrebspatientin bringt sogar 3.500 Euro.

Die wahre Anzahl der Diabetiker einzuschreiben lohnt sich für die Mediziner nicht. Die Programme sind mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden. Dadurch anfallende Überstunden von Arzthelferinnen lassen sich auch durch erhöhte Prämien jedoch nicht bezahlen. Darum riefen bereits im vorigen Jahr einzelne Ärzte zu einem Boykott der Programme auf. „Disease Management bedeutet keine medizinische Verbesserung, sondern lediglich höhere Einnahmen seitens der Kassen“, so Ilona Nowak, Sprecherin des Hartmannbundes.

Das zeigt sich auch an den Programmen für Brustkrebspatientinnen: Vorausgesetzt, eine Frau unterschreibt freiwillig einen DMP-Vertrag, verpflichtet sie sich dazu, Kosten für eine eventuelle Misteltherapie selbst zu tragen. Ohne Disease Management würde die Kasse dafür aufkommen, und diese homöopathische Behandlung kostet immerhin zwischen 50 und 200 Euro.

Die im Gegenzug versprochene „bestmögliche Versorgung“ indes entpuppt sich – neben allen ohnehin gewährten Leistungen – als telefonischer Erinnerungsdienst zu Arztterminen und dem Erhalt neuer Broschüren zum Thema. JESSICA RICCÒ